Belästigung von Frauen im öffentlichen Raum Aktuelle Stunde 10.10.2024 26:11 Min. UT Verfügbar bis 10.10.2026 WDR Von Martina Koch

WDR-Reportage: Sexuelle Übergriffe - "Jede Art von Mann kann es sein"

Stand: 10.10.2024, 16:41 Uhr

Der WDR hat junge Frauen für sein Format "Die andere Frage" beim Feiern in Düsseldorf begleitet. Ihre Angst vor sexuellen Übergriffen ist groß.

Jil zieht sich in öffentlichen Verkehrsmitteln lieber ein "Bahn-Outfit" an, hat "immer Pfefferspray dabei" und geht nachts nur mit einem sehr mulmigen Gefühl schlecht beleuchtete Wege entlang. Warum? Die 22- jährige Studentin hat Angst vor sexuellen Übergriffen.

Frauen meiden bestimmte Plätze und Fremde

Diese ihre Freiheit einschränkende Angst haben sehr viele Frauen: Einer Umfrage des Bundeskriminalamtes (BKA) zufolge vermeiden fast 60 Prozent nachts bestimmte Plätze, nehmen Umwege in Kauf oder gehen Fremden aus dem Weg. Mehr als die Hälfte der Frauen fährt nachts ungern mit öffentlichen Verkehrsmitteln, bei den Männern gerade mal ein Viertel der Befragten.

Man fühlt sich schnell wie Fleisch auf dem Viehmarkt. Jil aus Düsseldorf
Noreen (l.) und Jil in der Düsseldorfer Altstadt | Bildquelle: WDR

Diese Angst spürt auch WDR-Reporter Jakob Rhein als er für das Format "Die andere Frage" neben Jil noch mit Luna (18) und Noreen (21) in der Düsseldorfer Altstadt unterwegs ist. Die 21-jährige Freundin Noreen (21) sagt, sie habe vor vielem Angst: "Es werden auch genug Frauen vergewaltigt." Die Angst beginnt aber lange vorher und kann bereits durch aufdringliche Blicke ausgelöst werden.

Mehr als 126.000 Straftaten gegen sexuelle Selbstbestimmung

Blicke etwa, durch die sich Jil zuweilen wie "Fleisch auf dem Viehmarkt" fühlt. Da reiche schon das "Gaffen" beim Entgegenkommen auf der Straße. Noreens Eindruck, dass "es schlimmer wird", scheinen Statistiken des BKA zu bestätigen. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik gab es 2023 mehr als 126.000 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung.

Formen der sexualisierten Gewalt reichen laut Bundesfamilienministerium von "obszönen Worten und Gesten" bis hin zu "Vergewaltigung, sexueller Nötigung oder sexuellem Missbrauch". In die BKA-Statistik schaffen es die vermeintlich harmloseren Kategorien dabei nicht zwingend. "Catcalling" etwa - also das Hinterherpfeifen oder anzügliche Komplimente - ist in Deutschland nicht strafbar, solange es nicht die in Paragraf 185 des Strafgesetzbuches geregelte Schwelle der Beleidigung erreicht.

Nein ist nein. Aber kein Ja ist vielleicht auch ein Nein. Wir müssen nicht auf ein Nein warten. Männlicher Partygänger in der Düsseldorfer Altstadt
Louisa erzählt von ihren Erfahrungen | Bildquelle: WDR

Eine exhibitionistische Handlung, wie sie Louisa aus Frankfurt im Zug erlebte, ist dagegen schon strafbar. Als die 29-Jährige im Zug nachts unterwegs war, saß in einer Sitzreihe schräg vor ihr ein Mann, der immer wieder zu ihr herübersah und sich dabei selbst befriedigte. Louisa erstattete Anzeige, aber nichts passierte.

Mehr als zwei Drittel aller jungen Frauen erleben sexuelle Übergriffe

"Das ist das tatsächlich schon zweite oder dritte Mal, dass ich eine Anzeige gemacht habe und danach nie wieder was gehört habe", so die Frankfurterin. Sie verliere "so ein bisschen das Vertrauen". Mit dem Zug, in dem sie sexuell belästigt wurde, fahre sie nicht mehr: "Das ist sehr traurig, und das schränkt einen in der Freiheit total ein." Die für Straftaten in Zügen zuständige Bundespolizei teilte auf Anfrage mit, dass die Bearbeitung solcher Anzeigen mehrere Wochen dauern könne.

In einer repräsentativen Umfrage des Delta-Institus von 2019 gaben mehr als zwei Drittel aller befragten Frauen (68 Prozent) zwischen 16 und 24 Jahren an, schon von einem sexistischen Übergriff betroffen gewesen zu sein, 36 Prozent sagten, dass sie solche Übergriffe mehr als einmal im Monat erleben.

Das ist nicht ein bestimmter Typ Mann, das ist ein bestimmter Typ Denken. Düsseldorfer Türsteher zu sexuellen Übergriffen
Türsteher in der Düsseldorfer Altstadt | Bildquelle: WDR

Aber was sagen eigentlich Männer - bei Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung statistisch betrachtet deutlich häufiger Täter als Opfer - zu den Ängsten der Frauen und Übergriffe auf sie. "Wenn die wollen, dass man die nicht anguckt, dann sollen die sich auch so anziehen", ist in der Düsseldorfer Altstadt zu hören. Andere sagen dass man solche Situationen im Blick haben solle und "auf jeden Fall einschreiten" müsse.

Auch "normale Familienväter" werden übergriffig

Was die Täter betrifft, gehen die Meinungen auseinander. So erzählt ein Türsteher dem WDR-Reporter, dass man es dabei nicht mit einem "bestimmten Typ Mann", sondern einem "bestimmten Typ des Denkens" zu tun habe. Er habe schon alle möglichen Situationen erlebt, wo ihm keine Nationalität negativer aufgefallen sei als eine andere.

Jil im Gespräch mit WDR-Reporter Jakob Rhein | Bildquelle: WDR

Ein jüngerer Passant hält dagegen, das man mittlerweile "täglich" mitbekomme, "dass Männer mit Migrationshintergrund vorrangig Frauen belästigen". Eine Ansicht, die zumindest in der Düsseldorfer Altstadt viele nicht teilen. Jil, Noreen und ihre Freundin Luna hätten das zwar schon erlebt, aber eben auch anderes. Am Ende könne es jeder sein: "In der Altstadt sind es dann auch mal normale Familienväter", sagt Jil.

Ausländeranteil in BKA-Statistik höher als in der Bevölkerung

Statistisch ragen bei den Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung Täter ohne deutschen Pass heraus. Die machten 2023 laut BKA knapp 30 Prozent der 94.000 Tatverdächtigen aus. Ihr Anteil an der deutschen Bevölkerung liegt aber lediglich bei 15,2 Prozent. Mögliche Gründe hierfür können laut Experten vielfältig sein: Etwa Herkunftsländer, in denen Gewalt Alltag ist und Frauen unterdrückt werden oder auch die Tatsache, dass fremd wirkende Menschen eher verdächtigt werden.

So oder so existiert in Deutschland nur ein sehr unvollständiges Bild des Ausmaßes an sexuellen Übergriffen, weil nach Schätzungen des BKA nur rund ein Prozent überhaupt angezeigt wird. Dass Dunkelfeld ist also groß. Und von den Übergriffen, die bekannt sind, geschehen die allerwenigsten beim Feiern in den Partyzonen deutscher Städte, sondern die die allermeisten hinter verschlossenen Türen in Familien und Partnerschaften, wo Täter und Opfer oft aus demselben Kulturkreis kommen.

Unsere Quellen:

  • Gespräche mit den Studentinnen Jil, Noreen und Luna
  • Gespräch mit Louisa
  • Gespräche mit Partygängern in der Düsseldorfer Altstadt
  • Polizeiliche Kriminalstatistik und Umfragen des BKA
  • Bundespolizei Frankfurt
  • Bundesfamilienministerium