Dampf steigt aus den Kühltürmen des Atomkraftwerks Tihange.

"Atomgipfel" ohne Deutschland: Warum uns die Atomkraft trotzdem beschäftigt

Stand: 21.03.2024, 15:47 Uhr

Wenn sich heute in Brüssel viele Staatschefs und die EU-Spitze zum Thema Atomkraft treffen, ist das Aussteigerland Deutschland nicht dabei. Doch Fragen zu Sicherheit und Finanzierung der AKW bleiben auch bei uns relevant.

Von Ingo NeumayerIngo Neumayer

Während in Deutschland die letzten Atomkraftwerke vom Netz gegangen sind, fahren viele europäische Länder die Produktion hoch: Atomenergie ist in der EU wieder auf dem Vormarsch. Länder wie Frankreich, Schweden oder die Slowakei setzen auf Kernenergie und bauen teilweise sogar neue Reaktoren.

Aus diesem Grund treffen sich heute mehr als 30 Staats- und Regierungsschefs in Brüssel zu einem "Atomgipfel". Auch Vertreter der EU sowie der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA sind vor Ort. Deutschland hingegen nimmt an dem Treffen nicht teil.

"Dass es unter den EU-Mitgliedstaaten bezüglich der Atomkraftnutzung unterschiedliche Sichtweisen gibt, ist bekannt und wird gegenseitig respektiert", sagte ein Sprecher des Umweltministeriums.

EU-Mittel für Atomprojekte verwenden?

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte bei dem Treffen, dass die Atomenergie eine wichtige Rolle beim Umbau zu einer klimafreundlichen Wirtschaft spielen könne. "Es geht nicht darum, einfach die Atomenergie zu feiern", sagte IAEA-Chef Rafael Grossi. Stattdessen wolle man bei dem Treffen über Möglichkeiten der Beibehaltung und des Ausbaus der umstrittenen Technologie beraten.

"Wir verpflichten uns dazu, das Potenzial der Nuklearenergie voll auszuschöpfen", hieß es in der gemeinsamen Erklärung am Donnerstag. Die Politiker sprachen sich nicht nur für den Bau neuer AKW, sondern auch für die Verlängerung der Lebenszeit bestehender Anlagen aus. Weiter plädierten sie für den raschen Einsatz neuerer und kleinerer Reaktoren.

Auch die Frage, wie AKW-Projekte leichter finanziert werden könnten, steht im Raum. Atom-Forschung sollte auf jeden Fall aus dem EU-Haushalt bezahlt werden - "vielleicht auch Atom-Projekte", sagte der belgische Ministerpräsident Alexander de Croo am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters.

NRW: Anfälliges AKW in Tihange nur 60 Kilometer entfernt

Was bleibt ist die Sicherheitsfrage, die besonders die Menschen in den Grenzregionen von NRW betrifft. Denn was nutzt ein Atomausstieg im eigenen Land, wenn die Nachbarn weiter AKW betreiben und sogar ausbauen? Und das zum Teil gar nicht weit entfernt: Vom französischen AKW Cattenom oder dem belgischen AKW in Doel sind es Luftlinie nur jeweils circa 140 Kilometer nach NRW.

Das belgische Atomkraftwerk Tihange, in dem es immer wieder zu technischen Problemen und Sicherheitsmängeln kam, liegt sogar nur 60 Kilometer von Aachen entfernt. Dort wurde zwar einer der Reaktoren 2023 abgeschaltet, aber zwei weitere sind immer noch in Betrieb.

Und viele Menschen in Aachen und Umgebung können sich noch sehr gut an den Herbst 2017 erinnern. Damals ließen die Kommunen Jodtabletten an die Bewohner verteilen - aus Angst vor den möglichen Folgen eines schweren Atomunfalls in Tihange.

EU-Staaten sind sehr gespalten beim Thema Atomkraft

Das Treffen in Brüssel zeigt, die EU ist sehr gespalten, was das Thema angeht. Auf der einen Seite steht ein Bündnis aus Atomkraft-Befürwortern aus 14 Staaten, das von Frankreich angeführt wird. In den anderen 13 EU-Staaten sieht man Kernkraft kritischer oder lehnt sie komplett ab - so wie in Deutschland, Österreich oder Dänemark.

Atomstrom: Wer bezahlt die Folgekosten?

Arbeiter sind mit Instandhaltungsarbeiten im Erkundungsbergwerk in Gorleben beschäftigt

Problem: Die Endlagerung von Brennstäben

Ein weiterer Grund dafür sind die immensen Kosten, die die Kernkraft verursacht. Selbst wenn man die Folgekosten wie die Endlagerung der Brennstäbe nicht berücksichtigt, ist Atomstrom laut Berechnungen der US-Investmentbank Lazard mit 18 Cent pro Kilowattstunde die teuerste Form der Stromerzeugung. Wenn man Folgekosten miteinbezieht, wie das etwa das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft in einer Studie im Auftrag von Greenpeace gemacht, kommt man sogar auf bis zu 39 Cent pro Kilowattstunde.

Französischer Energiekonzern hat 70 Milliarden Euro Schulden

Das schlägt sich allerdings nicht direkt in der Stromrechnung nieder, weil die Atomkraft oft stark vom Staat begünstigt wird. Beispiel Frankreich: Dort wurde der Strompreis staatlich gedeckelt, was dazu führte, dass der Energiekonzern EDF, der alle 56 französischen AKW betreibt, immer mehr Schulden anhäufte.

Inzwischen sind es über 65 Milliarden Euro - und EDF wurde verstaatlicht. Warum soll man über die EU-Töpfe für eine Technologie zahlen, von der man nicht überzeugt ist? Diese Frage stellen sich viele Politiker in den atomkritischen Staaten Europas.

Unser Quellen:

  • dpa
  • Reuters
  • IAEA
  • Lazard-Bericht: Levelized Cost of Energy
  • Forum Ökologisch-Soziale Markwirtschaft