Vom Hüftschwung beim "Abdocken" bis hin zur Erkenntnis, dass der Himmel nicht blau sondern schwarz ist: Astronauten haben einen ungewöhnlichen Alltag und auch besondere Erkenntnisse. Der deutsche ESA-Astronaut Matthias Maurer ist 2021 zur ISS gereist. 177 Tage verbrachte der gebürtige Saarländer im Orbit. Während dieser Zeit führte er zahlreiche wissenschaftliche Experimente durch.
Im WDR Podcast 0630 hat er erzählt, wie das Leben im All ist und was das Astronautenleben so besonders macht.
WDR: Herr Maurer, Profi-Fußballer werden oft gefragt: Erklär mal in einem Satz Abseits. Deswegen ist es nur fair, wenn ich Sie jetzt frage: Erklären Sie als Profi-Astronaut mal in einem Satz das Weltall.
Matthias Maurer: Ich glaube, Abseits wäre dann doch leichter zu erklären (lacht). Aber das Weltall ist groß. Viele denken, es ist unendlich, dabei ist es endlich. Aber so richtig fassen können wir es nicht. Und deswegen wollen wir dort hinfliegen und gucken, dass wir es Schritt für Schritt ein bisschen mehr verstehen.
WDR: Unsere Hörerin Britta würde gerne wissen, was Sie an persönlichen Gegenständen mit in den Weltraum nehmen? Also Fotos oder ein Glückbringer oder sowas.
Maurer: Als Astronaut darf ich natürlich nicht viel mitbringen. Vom Volumen her war das ungefähr so wie ein Schuhkarton. Vom Gewicht her war es ein halbes Kilo, das heißt, es gibt sowohl Volumen als auch vom Gewicht her eine Einschränkung. Und in der Tat waren da natürlich Fotos von der Familie dabei. Dann hatte ich ein paar Glücksbringer nicht von mir dabei, sondern zum Beispiel auch die Eheringe von sehr, sehr engen Freunden.
Astronaut Matthias Maurer hatte 2021 von der Kuppel der Internationalen Raumstation ISS einen besonderen Blick auf die Erde.
WDR: Andere Leute haben Ihnen Eheringe mitgegeben?
Maurer: Ja, ganz genau. Da war ich ein bisschen nervös, weil das schwebt ja da oben alles. Und wenn man Fotos macht, dann nimmt man die Kamera, die schwebt auch neben einem, und ruckzuck sind die Eheringe weggeschwebt und die musste ich dann suchen. Aber zum Glück hatte ich alles wieder zurückgebracht, was ich dann auch mit hochgenommen habe.
WDR: Sehr viele Menschen interessieren sich für den Alltag auf der ISS. Wie läuft so ein Tag ab?
Maurer: Man kennt seinen Stundenplan schon am Tag vorher. Jeder Astronaut hat einen anderen Stundenplan, da steht zum Beispiel drauf, morgens um 07.30 Uhr die erste Funkverbindung mit dem Boden, und dann geht es los, zum Beispiel mit einem Sport-Medizintest. Die anderen fangen an, die Toilette zu reparieren. Der Nächste hat dann vielleicht ein Experiment auf dem Schirm stehen, der andere muss wieder ausladen, umladen oder verpacken. Es gibt viele Aktivitäten, wir müssen ja alles machen. Und am Wochenende steht dann putzen auf dem Programm.
WDR: Und wann ist Feierabend?
Maurer: Abends um 19.30 Uhr. Dann drehen wir das Licht von dem grellen Weiß auf ein bisschen schöneres Gelb und dann ist es entspannt, und dann essen wir zu Abend, Und dann schweben wir alle dort um den Tisch rum und teilen die Abenteuer des Tages. Also bei jedem geht was schief. Wir sind alles nur Menschen und verbocken mal am Tag ein bisschen was, und dann lachen wir alle drüber.
WDR: Schwerelosigkeit kann man ja auf der Erde nicht so richtig trainieren. Also wie ist denn das? Wenn man da oben ankommt, knallt man dann erst mal mit dem Kopf, überall gegen?
Maurer: Ja, so ist das, am Anfang ist man ziemlich unbeholfen und dann stößt man sich mit so richtig viel Schwung ab. Und dann sagen die Profis: Nee, Moment, du brauchst nur so ein Fingertippser und dann schwebst du viel kontrollierter. Klar, am Anfang rammt man in die Wand rein, weil man doch zu wild war. Oder wenn man dann um die Ecke rumschwebt und man hat den Griff verpasst und rauscht dann die Wand gegenüber sein. Aber das geht, nach ein, zwei Tagen ist man da langsam drin und so nach zwei, drei Wochen ist man ein richtiger Profi und schwebt total entspannt.
Zwei, drei Wochen dauert es laut Astronaut Maurer, bis man wie ein Profi in der Schwerlosigkeit schwebt.
WDR: Wie ist dieses Gefühl im Weltall zu schweben, zum Beispiel bei dem ersten Außeneinsatz?
Maurer: Das ist absolut surreal. Das ist Gehirngymnastik pur, Kopfkino ohne Ende. Ich kann es nur damit vergleichen, wie "Alice im Wunderland". Ich habe die Tür aufgemacht, und dann bin ich wie in so einen Brunnen reingefallen und war plötzlich in dieser Zauberwelt. Bei 28.000 Kilometern pro Stunde krabbelt man außen an diesem Ding entlang, ist zum Teil nur noch mit Fingerspitzen in Kontakt und natürlich mit Seilen. Aber der Moment, wenn man runterschaut zur Erde und sieht 400 Kilometer nichts zwischen sich und dem Ozean. Da klopft das Herz ganz ordentlich.
WDR: Ist man ein anderer Mensch danach?
Maurer: Ja, ich denke, dieses Gefühl, dass man anderer Mensch ist, setzt ein, sobald man oben ankommt und das allererste Mal die Erde aus der Perspektive der Raumstation gesehen hat. Man sieht vor sich einen leuchtend blauen Planet, also das was wir als blauen Himmel kennen, das ist nicht alles. Das ist nicht der Himmel. Der Himmel ist nicht blau, sondern der Himmel ist schwarz, und die Erde ist total blau. Und diese fundamentale Kenntnis zu sehen. Dass der Hintergrund komplett schwarz ist und nur diese eine Oase da ist - das verändert einen.
Der Einsatz im All war für Maurer wie "Alice im Wunderland" und hat ihn verändert.
WDR: Wie ist das mit dem Duschen im All? Oder hat man nur einen Waschlappen?
Maurer: Ja, das ist nur ein Waschlappen. Also ich habe Wasser in einem Beutel. Daraus nehme ich dann so einen Tischtennisball-großen Wassertropfen. Den drücke ich mir auf den Kopf drauf. Und dann habe ich Seife dabeigehabt, und dann kann ich mich dann mit diesem Wassertropfen im Gesicht waschen. Und dann schiebe ich diese Wasserkugel - das ist ja wie ein Film, das bleibt alles am Körper kleben - die schiebe ich dann auf die Haare drauf. Eigentlich sollte man im All beim Duschen mit 150 Mililiter auskommen, ich war ein bisschen verschwenderisch und habe 200 Milliliter verwendet. Und dann rubbelt man sich mit einem feuchten Handtuch wieder ab und den ganzen Schaum rubbelt man in das eine Handtuch rein.
WDR: Die Frage nach der Toilette kann ich Ihnen nicht ersparen...
Maurer: Das ist wie auf der Erde. Wir haben so eine Art Toilette, nur sitzen wir nicht drauf, sondern schweben drüber. Und dann machst du es wie hier auf der Erde auch. Musst halt ein bisschen zielen. Und - ich sage mal beim Abdocken - da fällt ja nichts herunter, weil alles schwebt. Und dann musst du halt mit so einem gewissen Hüftschwung die Sache entkoppeln.
WDR: Hätten wir dieses Grundbedürfnis geklärt, aus der Community kommt noch eine Frage danach und zwar: Haben Astronauten Sex und wie?
Maurer: Ja, die Frage kann ich leider nicht beantworten. Wir sind alle ausgewählt worden von Raumfahrtagenturen, und das ist eine absolute Arbeitsumgebung. Das ist wie bei der Arbeit auf der Erde, da ist das Thema Sex in diesem Umfeld ja auch ein Tabuthema. Also diese Antwort kann ich nicht liefern.
Beim Start und bei der Landung tragen Astronauten tatsächlich Windeln.
WDR: Es gibt ja einige Vermutungen in der Community, was den Alltag auf der ISS angeht, das geht sogar soweit, dass Menschen glauben, wenn sie draußen an der Außenhülle arbeiten, dass sie dann Windeln tragen.
Maurer: Ja, das ist so. Als Astronaut hat man sehr oft Windeln an, beim Start hatte ich welche, bei der Landung und auch bei Außeneinsätzen. Ich war da ja sieben Stunden draußen, und vorher ist man ja schon drei Stunden in dem Anzug drin. Also für zehn Stunden, dann hast du doch lieber Windel an und kannst einfach mal so Wasser lassen zwischendurch. Aber: Es ist nur für das "Flüssige", das ist ein großer Ehrenkodex.
Das Interview führte Robert Meyer.
Für die Onlineversion wurde das Gespräch sprachlich bearbeitet und gekürzt.
Unsere Quellen:
- Interview mit Matthias Maurer
- dpa