Verbrecher oder Held: Der Fall Assange

Aktuelle Stunde 20.02.2024 UT Verfügbar bis 20.02.2026 WDR Von Astrid Houben

Wikileaks-Gründer Assange: Verbrecher oder Held?

Stand: 22.02.2024, 08:23 Uhr

Julian Assange kämpft in Großbritannien gegen seine Auslieferung an die USA. Was hat er eigentlich enthüllt? Und mit welchen Folgen für uns? Fragen und Antworten.

Von Jörn SeidelJörn Seidel

Im womöglich entscheidenden Gerichtsverfahren um die Auslieferung von Wikileaks-Gründer Julian Assange an die USA steht das Urteil weiter aus. Die Entscheidung fällt voraussichtlich nicht vor März. Am Mittwoch endete am Londoner High Court die zweitägige Anhörung.

Beging der Australier Assange ein Verbrechen, indem er vertrauliche US-Dokumente veröffentlichte? Oder war es eine Heldentat? Um welche Enthüllungen geht es eigentlich noch mal? Und welche Folgen haben sie - auch für Deutschland? Rückblicke und Experten-Einschätzungen.

Was hat Assange mit Wikileaks enthüllt?

Die Enthüllungsplattform Wikileaks hat seit der Gründung im Jahr 2006 zahlreiche geheime Daten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Sie legen Missstände und Straftaten vor allem in Behörden und Unternehmen offen. Am bekanntesten ist das als "Cablegate" bezeichnete Leak im Jahr 2010, das Aktivitäten der USA in den Kriegen in Afghanistan und im Irak bekannt machte.

London bestätigt Auslieferung von Assange an die USA.

Julian Assange im Januar 2020

Dabei ging es auch um die Tötung von Zivilisten und die Misshandlung von Gefangenen. Assange veröffentlichte über Wikileaks geheime US-Berichte und Diplomatendepeschen, die er von Informanten, sogenannten Whistleblowern, zugespielt bekam. Zu seinen bekanntesten Whistleblowern gehört Chelsea Manning, die früher noch Bradley Manning hieß und den US-Streitkräften angehörte.

Was werfen die USA Assange vor?

Die US-Regierung betrachtet Assange als Verbrecher, als Staatsfeind, weil er gegen ein Anti-Spionage-Gesetz verstoßen haben soll, indem er geheime Informationen gestohlen und veröffentlicht habe. Daher soll ihm in den USA der Prozess gemacht werden. Ihm drohen bis zu 175 Jahre Haft.

Mit den Enthüllungen soll Assange auch das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht haben, so ein Vorwurf der USA. Zumindest im Fall Manning hat sich dieser Vorwurf im Gerichtsverfahren gegen die Whistlebowerin jedoch nicht bestätigt.

Welche Bedeutung hat Assange für Deutschland?

Mit seinen Enthüllungen habe Assange zu einem Umdenken in der Gesellschaft beigetragen, sagt Annegret Falter vom Whistleblower-Netzwerk e.V. dem WDR. Auch Whistleblower Edward Snowden oder die Luxemburg-Leaks zu Steuervermeidung seien da zu nennen. "Das hat die Einstellung zur staatlichen und privatwirtschaftlichen Geheimhaltung geändert."

"Dadurch ist vielen Menschen klargeworden: Geheimhaltung dient auch der Vertuschung von Rechtsbrüchen, von Versagen, von Peinlichkeiten." Annegret Falter,
Whistleblower-Netzwerk
Annegret Falter vom Whistleblower-Netzwerk e.V. im Porträt

Annegret Falter, Whistleblower-Netzwerk

Eine Gesellschaft brauche Informationen, um Entscheidungen fällen zu können, betont Falter. Da dürften relevante Informationen nicht verheimlicht werden.

Mittlerweile sind Whistleblower in der ganzen Europäische Union unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich geschützt. Auch das sei Menschen wie Assange zu verdanken, weil sie für ihre Enthüllungen oft mit aller Härte verfolgt und bestraft werden, sagt Falter.

Wie sieht der gesetzliche Schutz für Whistleblower aus?

In der Europäischen Union trat 2019 die sogenannte Whistleblower-Richtlinie in Kraft, die die EU-Länder dann in nationale Gesetze umgesetzt haben. In Deutschland ist es das Hinweisgeberschutzgesetz.

Simon Gerdemann, Rechtswissenschaftler

Simon Gerdemann, Rechtswissenschaftler

"Es schützt Whistleblower vor jeglichen Repressalien", sagt Rechtswissenschaftler und Whistleblowing-Forscher Simon Gerdemann von der Uni Göttingen. Man könne dafür weder strafrechtlich verfolgt, noch gefeuert oder versetzt werden.

Voraussetzung sei allerdings, dass man entsprechend dem Gesetz wirklich Whistleblower sei, so Gerdemann. Das sei man zum Beispiel dann, wenn man Straftaten oder bestimme Ordnungswidrigkeiten aufdecke, zum Beispiel als Angestellter in einem Unternehmen. Oder wenn man verfassungsfeindliche Äußerungen von Beamten enthülle.

Falter vom Whistleblower-Netzwerk geht das Gesetz allerdings nicht weit genug. Denn es klammere vieles aus, zum Beispiel Missstände, die rechtlich nicht relevant sind, sowie Geheimdienste und Bereiche der nationalen Sicherheit. Trotzdem sind die Whistleblower-Gesetze in den EU-Ländern nach Ansicht von Falter und Gerdemann eine große Errungenschaft.

Assange kann sich aber nicht darauf berufen. Denn er selbst sei kein Whistleblower, erklärt Gerdemann. Vor diesem Hintergrund argumentierten die Anwälte von Assange am Dienstag vor Gericht, seine Enthüllungen seien eine "normale journalistische Tätigkeit" gewesen.

Die Chancen, dass Assange einer Auslieferung an die USA noch einmal entgehen kann, gelten als gering.

Über dieses Thema berichtete am 20.02.2024 auch die "Aktuelle Stunde" im WDR Fernsehen.

Unsere Quellen:

  • WDR-Gespräch mit Annegret Falter vom Whistleblower-Netzwerk
  • WDR-Gespräch mit Simon Gerdemann, Rechtswissenschaftler und Whistleblowing-Forscher
  • Nachrichtenagenturen dpa, AFP, AP
  • Hinweisgeberschutzgesetz