Obst mit Sonnenbrand: Was der Klimawandel mit unseren Äpfeln macht
Stand: 19.09.2023, 06:00 Uhr
Frühere Blüte, mehr Hagel, heißere Sommer - Apfelbauern in NRW müssen ihre Bäume für den Klimawandel wappnen. Der Cox Orange ist ein Verlierer, andere Apfelsorten kommen mit Hitze besser zurecht.
Von Katja Goebel
Wenn Georg Boekels sein Stück Land in Bergheim betritt, um seine Apfelbäume zu zeigen, dann macht sich zunächst einmal große Zufriedenheit in seinem Gesicht breit - gemischt mit einer großen Portion Stolz.
Seine Bäume stehen dicht gepflanzt in ordentlichen Reihen. Wer Anfang September hier durchläuft, schlendert auf weichem Grund aus Gras und Klee, dazwischen Maulwurfshügel. Die Sicht auf den blauen Himmel ist allerdings versperrt.
Hoch über den Apfelbäumen schwebt ein dichtes Netz. Und schon ist Georg Boekels beim Thema. Dieses Netz schützt vor heftigen Hagelschauern. Nicht das einzige Problem, dass der Klimawandel noch verschärft.
Der erste Feind im Jahr: Frost
Georg Boekels ist einer von rund 600 Obstbauern in NRW - seit mehr als 40 Jahren macht er den Job. Neben der absoluten Begeisterung für sein Kernobst bringt er auch einen guten Schuss Abgeklärtheit mit. Er will nicht jammern über das extremer werdende Klima. Er beobachtet bei seinen Pflanzen Veränderungen und überlegt sich, wie er seine Äpfel am besten gegen Hitze, Frost oder tierische Obstschädlinge schützen kann - ganz pragmatisch.
Je früher es im Jahr mild wird, desto eher hat die Apfelblüte ihren großen Auftritt. Statt erst im Mai, blühen die Apfelbäume häufig schon im April. Und das kann fatal sein. Dann nämlich, wenn sie in voller Blüte vom Frost überrascht werden.
Viele deutsche Apfelbauern hatten in den vergangenen Jahren große Ernteausfälle durch Frostschäden. Sie schützen die Blüten dann aufwendig mit Beregnungsanlagen. Gefriert das Wasser auf der Blüte, entsteht ein kleiner Eispanzer und hält die Temperatur auf Null.
Boekels braucht das nicht. Seine Bäume stehen auf einer Art Hochplateau, die kalte Luft zieht talabwärts. "Deshalb haben wir uns damals für dieses Grundstück entschieden." Außerdem setzt der Landwirt immer mehr auf unempfindlichere Sorten.
Fruchtbare Falter und gefräßige Maden
Auch wenn sich die Bäume bis zum Sommer prächtig entwickeln, könnte ein anderer Feind auf den Plan treten: Der Apfelwickler ist ein unscheinbarer Falter. Doch seine Larven bohren sich nach dem Schlüpfen ins Fruchtfleisch und kommen als gut genährte Obstmaden wieder heraus.
"Früher hatten wir hier gar keine Probleme mit dem Apfelwickler, der kam hier praktisch nicht vor. Wir hatten den Fruchtschalenwickler. Jetzt ist es klimabedingt andersherum. Der Fruchtschalenwickler hat sich durch die Klimaveränderung verzogen. Dafür haben wir es jetzt mit dem Apfelwickler zu tun."
Aber nicht nur der Schädling an sich hat sich geändert, er tritt auch in höherer Zahl auf. Der Schmetterling fühlt sich nämlich so wohl, dass er im Sommer gleich noch eine zweite Generation an Nachkommen produziert. "Das ist neu", sagt Boekels. Was tun?
Und weil der Obstbauer so kurz vor der Ernte nicht mehr spritzen will, versucht er es mit strategischer Irreführung. Ein Sexuallockstoff wird vollautomatisch durch Dosen versprüht, die an den Baumreihen hängen. So finden die nachtaktiven Falter im besten Falle nicht zueinander.
Äpfel im Westen bekommen Sonnenbrand
Es ist Erntezeit im Rheinland. Boekels Bäume hängen teils noch voll. 40 große Kisten erntet er gerade täglich, das sind rund 13 Tonnen. Die Früchte sind dick, manche tiefrot, andere leuchten in hellem Grün. Doch gerade die rotwangigen Äpfel bekommen jetzt leicht einen Sonnenbrand. Da wird es auf dem Obst schon mal 45 bis 50 Grad heiß.
"Dann verkocht der Apfel unter der Farbe", erklärt Boekels. Das ist jetzt eine ganz kritische Zeit." Gut, dass das Hagelnetz noch hängt. "Das sorgt für Schatten und ein anderes Klima."
Und noch etwas sorgt für Kühlung. Früher habe man das Gras unter den Bäumen auf Golfrasenlänge gestutzt. Heute dürfen die Halme lang wachsen, ebenso wie der Klee. Feuchte Wiesen bringen mehr Verdunstungskühle.
Ein Bild aus alten Zeiten: Der Cox Orange am Apfelbaum
Alte Apfelsorten bald Geschichte?
Weiter geht es durch die Apfelbaumreihen. Hier hängen Sorten wie Wellant, Rubinette, Berlepsch, Gala oder Elstar. Nur einen alten Bekannten sucht man vergeblich: den Cox Orange. Den hatte Georg Boekels jahrzehntelang auf seinem Feld. Doch der kam mit der Hitze nicht zurecht.
Auch den Golden Delicious und seine Abkömmlinge wie den Jona Gold wolle keiner mehr haben - zu empfindlich. Letzterer färbe sich schon sehr früh vor der Ernte und bekomme auch eher Sonnenbrand. Zu den Verlierern gehören laut Boekels auch noch Boskoop. Sie sind anfälliger gegen Pilze. Gewinner sind Elstar, Wellant, Magic Star, Fräulein, Kanzi und Snap Dragon - ihnen macht die Hitze weniger aus.
Könnte man nicht einfach schnell mal klimaresistentere Sorten züchten? Bei dieser Frage zieht Boekels die Augenbrauen hoch. Natürlich könne man, aber nicht mal eben. Es dauere Jahrzehnte, bis so eine neue Apfelsorte marktreif sei.
Aus SQ 159 wird Netti
Dennoch setzt auch Boekels auf ganz neue Sorten. Als Präsident des Provinzialverbandes der Rheinischer Obst- und Gemüsebauern muss er sich auf dem Laufenden halten. Dazu ist er sogar schon bis in die USA gereist. Auch auf seiner Plantage stehen versuchsweise ein paar zarte Apfelbäumchen. Sie tragen noch recht überschaubar. An einem Baum entdeckt Boekels sogar eine Apfelblüte neben einem reifen Apfel. "Das darf nicht sein. Hier läuft auch irgendetwas falsch." Man merkt, die Zucht ist ein langer Prozess - der auch Misserfolge mit sich bringen kann.
Einige Reihen weiter ist eine neue Sorte schon etwas weiter. Sie wurde in Versuchsanstalten über Jahre beobachtet, kam dann zu Boekels. Ihr sperriger Übergangsname lautete "SQ 159". Boekels durfte sie umtaufen. Netti heißt sie jetzt bei ihm. Auf ihr ruhen jetzt viele Hoffnungen für die Zukunft. In die blickt der Apfelbauer aus Bergheim aber noch recht gelassen.