Luftwaffen-Übung "Air Defender": Ab heute drohen Flugverspätungen in NRW

Stand: 12.06.2023, 19:17 Uhr

Am Montagmorgen hat das größte Luftwaffen-Manöver im deutschen Luftraum begonnen. Warum "Air Defender 23" wohl die zivile Luftfahrt ausbremsen wird - auch in NRW.

Seit dem Montagmorgen ist es voll am Himmel über Deutschland. Denn seitdem läuft die internationale Luftwaffenübung Air Defender 2023. Beteiligt sind mehr als 10.000 Soldatinnen und Soldaten und rund 250 Flugzeuge aus 25 Staaten. Die Übung findet vorwiegend im deutschen Luftraum statt und endet erst am 24. Juni.

Wird die Übung auch Menschen in NRW betreffen? Was bedeutet das für den zivilen Luftverkehr? Und für Anwohner der großen NRW-Flughäfen? Fragen und Antworten.

Was genau ist geplant?

"Das ist die größte und wichtigste Luftverteidigungsübung in der Geschichte der NATO", sagte US-Botschafterin Amy Gutmann am Mittwoch in Berlin. Ganz richtig ist das nicht: An dem Manöver sind zwar fast alle NATO-Staaten und einige weitere Nationen beteiligt. Es ist aber streng genommen kein NATO-Manöver, sondern eine internationale Übung unter der Führung der Bundeswehr. Innerhalb von zehn Tagen sind rund 2.000 militärische Flüge geplant, unter anderem wird die Abwehr von Marschflugkörpern und Raketen geübt.

Betroffen ist ein Großteil des deutschen Luftraums: Im Übungsraum Ost, der die Ostsee, Mecklenburg-Vorpommern und Teile Sachsens betrifft, wird in der Regel zwischen 10 und 14 Uhr geübt, im Übungsraum Süd (vor allem Baden-Württemberg und Bayern) zwischen 13 und 17 Uhr und im Übungsraum Nord zwischen 16 und 20 Uhr, das ist der Luftraum über der Nordsee, Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Nachts und am Wochenende soll es keine Übungsflüge geben.


Was ist der Grund für diese Übung?

"Die NATO, die USA, auch Deutschland wollen damit demonstrieren, dass die Verbündeten in der Lage sind, sehr schnell die Verteidigung Europas in der Luft zu organisieren", sagt Militärexperte und Journalist Thomas Wiegold im WDR-Interview. Die beteiligten Staaten wollen zeigen, dass Luftstreitkräfte innerhalb kurzer Zeit nach Europa fliegen können, so Wiegold. Man wolle so "eine wehrhafte europäische Nato demonstrieren." Der Mehrwert bei solchen Übungen sei zudem, dass die beteiligten Nationen das Zusammenspiel proben könnten.

Die Übung sei auch ein Zeichen an Russland, man müsse laut Wiegold aber berücksichtigen: "Diese Übung wurde bereits seit 2018 geplant, damals unter dem Eindruck der russischen Annexion der Krim, aber vor Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine."

Ist auch NRW betroffen?

NRW spielt bei der Großübung eine besondere Rolle. Genauer gesagt: Die Kleinstadt Kalkar am Niederrhein ist Zentrum der Luftoperationen - dort werden im Krisenfall für die Luftwaffe Entscheidungen getroffen und Kommandos erteilt und Operationen geleitet. Deshalb wird auch die Übung Air Defender von Kalkar aus koordiniert. Das bedeutet: Die Leute, die dort im Gefechtsstand sitzen, koordinieren die Missionen an den verschiedenen Standorten - und zwar für alle an der Übung beteiligten deutschen und europäischen Standorte. Allerdings starten von Kalkar aus keine Flugzeuge.

Nordrhein-Westfalen gehört nicht zu den Bundesländern, in denen der Schwerpunkt der militärischen Flüge stattfinden wird. Auch Starts und Landungen von Kampfflugzeugen wird es an den Flughäfen im Land nicht geben. Vereinzelt könnte es aber Aktionen im Luftraum über NRW geben - besondere Störungen werden allerdings nicht erwartet.

Trotzdem können die Menschen in NRW etwas von dem Manöver mitbekommen. Tatsächlich könnte "Air Defender 23" die gesamte zivile Luftfahrt in Deutschland behindern.

Am ersten Tag hat es an den großen Flughäfen in NRW bisher keine Probleme gegeben. "Normaler Betrieb", meldete der Flughafen Köln/Bonn bis Montagmittag. Auch in Düsseldorf laufe alles planmäßig und ohne Störungen, wie ein Sprecher der dpa sagte. Eine Prognose für die nächsten Stunden sei aber nicht möglich. Mit Verspätungen ab den frühen Abendstunden sei weiter zu rechnen.

Worauf müssen sich Flugreisende einstellen?

Das ist noch nicht ganz klar. Die Gewerkschaft der Flugsicherung rechnete im Vorfeld mit "50.000 Minuten Verspätung jeden Tag", die das Manöver verursache. "Deutschland wird zum Flaschenhals der europäischen Luftfahrt", sagte der Vorsitzende Matthias Maas dem ARD-Hauptstadtstudio. Das Bundesverteidigungsministerium verweist hingegen auf Simulationen der Europäischen Organisation zur Sicherung der Luftfahrt (Eurocontrol). Diese hätten ergeben, dass während des Manövers mit "keinerlei Flugausfällen" zu rechnen sei, höchstens mit maßvollen Verzögerungen.

Egal wie stark die Behinderung der zivilen Luftfahrt ausfällt: Auch die NRW-Flughäfen werden wahrscheinlich betroffen sein. Das teilte NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) am Mittwoch im Landtag mit. Alle Airports müssten mit Verschiebungen von Starts und Landungen rechnen. "Aus vielen Gesprächen habe ich aber auch mitgenommen, dass vieles noch unkalkulierbar ist", sagte Krischer den Abgeordneten.

Besonders ärgerlich: Das Manöver fällt an den letzten beiden Tagen ausgerechnet auf den Start der Sommerferien in NRW. Damit könnte der Ferienbeginn für Tausende Passagiere an den NRW-Flughäfen noch stressiger werden als in "normalen" Jahren.

Und womit müssen Anwohner von Flughäfen rechnen?

Unter Umständen müssen Anwohner in den Anflugschneisen der NRW-Flughäfen mit mehr Lärm rechnen. Falls es wie erwartet zu Verspätungen kommt, hat die Landesregierung jetzt schon eine Ausnahmegenehmigung für die Dauer des Manövers beschlossen. So dürfen nach Prüfung durch die Flugaufsicht trotz Nachtflugverbots verspätete Maschinen auch noch zu später Stunde an den Flughäfen Düsseldorf, Weeze und Dortmund landen. Voraussetzung ist aber, dass die Verspätungen im Zusammenhang mit der Militärübung stehen. An den Flughafen Köln/Bonn, Münster/Osnabrück und Paderborn gibt es ohnehin kein Nachtflugverbot - auch dort könnte es zusätzlichen Verkehr geben.

"Der Landesregierung ist bewusst, dass die Anwohner damit zusätzlichen Lärm hinnehmen müssen", sagte Krischer und bat um Verständnis. Die Landesregierung habe das öffentliche Interesse der Flugreisenden mit den Interessen der Anwohner abwägen müssen. Angesichts der internationalen Spannungen gebe es aber keinen Zweifel daran, dass die Militärübung sinnvoll sei.

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