Buchcover: "Sex & Rage" von Eva Babitz

"Sex & Rage" von Eva Babitz

Stand: 04.07.2024, 19:48 Uhr

Sie liebte ihr Surfbrett und Künstler, sie war Groupie und selber Künstlerin. In ihrem autobiografischen Roman "Sex & Rage" erzählt Eve Babitz von Rausch und Glamour der 1960er Jahre in L.A. Eine Rezension von Dorothea Breit.

Eva Babitz: Sex & Rage
Aus dem amerikanischen Englisch von Hanna Hesse
320 Seiten, Hardcover, Fischer Verlag, 24 Euro

Die Familie lebt in einem Haus in Santa Monica. Der Vater ist Studiomusiker, die Mutter Malerin und schön, wie auch April, die jüngere Tochter mit dunkelgelocktem Haar und gebräunter Haut. Indessen die ältere, nach dem duftenden Baum Jacaranda benannte, ein halber Junge ist, strohblond und ein Genie auf dem Surfbrett mit Talent zum Zeichnen und Malen.

"Jacaranda besuchte drei verschiedene städtische Schulen, wobei sie im Unterricht die meiste Zeit Bilder zeichnete, bevorzugt Frederick-of-Hollywood-Dessousmodels mit comichaften Stiefeln und Masken, Strapsen, Messern und Peitschen, mit hüftlangen blonden Mähnen, einer beeindruckenden Oberweite und Schönheitsflecken neben dem linken Auge. Sie war nicht religiös erzogen worden, nahm aber an, jüdisch zu sein."

Jacaranda ist ein Kind der Westküste und in allem, was sie tut, ein Naturtalent. So wie in die Wellen des Ozeans am Strand von Santa Monica taucht die Protagonistin in Eve Babitz‘ autobiografischem Roman "Sex & Rage" nach der High-School auch in das Leben von Los Angeles ein.

"(...) eine schlanke Figur in zerrissenen blauen Shorts oder einem abgewetzten blauen Bikini. Von weitem sah sie aus wie Treibgut, ein Stück Holz mit blondem Seegras an einem Ende. Sie hatte mit Kalzium gefüllte Knoten an den Knien und Fußrücken, die sich durch den Druck beim Paddeln auf großen, älteren Boards gebildet hatten. (...) Sie stellte sich vor, dass sie eine Abenteurerin sein würde (...). Sie würde eine Künstler-Abenteurerin werden und einfach malen, denn darin würde sie gut sein. Hauptsache, alles würde sich um die Farbe Blau drehen."

Sie bemalt Surfbretter und trinkt sich mit bemerkenswerter Kondition durch die schaflosen Nächte der Partys. Mit achtzehn verliebt sie sich in den Schauspieler Colman, zieht bei ihm ein, vergöttert ihn: ein Genie! Bis sie herausfindet, dass er jeder Frau den Kopf verdreht. So wie alle anderen, die noch folgen werden. Männer sind eben "Herzensbrecher", und Frauen "hinreißende" Schmuckstücke.

In berauscht berauschendem, auch mal ironischem Plauderton schildert die Autorin die Hingabe ihrer Protagonistin an die Verführungen der glitzernden Oberflächen des Lebens, und lässt dabei ihrerseits beim Schreiben auch kein Klischee aus.

"(...) als das Leben ein einziger Rock-’n’-Roll war, ließ es sich in West Hollywood mit seinen Dreizimmerwohnungen für hundertzwanzig Dollar im Monat und Vermietern, die alles tolerierten, gut leben. Zwar gab es auch dort Eltern mit Kindern und Haustieren, doch die meisten Bewohner West Hollywoods dealten mit Drogen, waren Rock-’n’-Roll-Musiker, Tourmanager oder Groupies, Schauspieler, die sich als Kellner verdingten und sich in ihrer Freizeit Drehbücher ausdachten, oder Schriftsteller, die tatsächlich ohne Ende Drehbücher verfassten und arbeitslos waren. Auch Friseure, Models, die sich mit Fernsehwerbung über Wasser hielten (...)."

Ihnen gegenüber stehen Produzenten, Agentinnen, Verleger und Reiche wie der geheimnisvolle Max und der mächtige Etienne, der sich die Halbseidenen der Kunstwelt zum Zeitvertreib an seinen elitären Hof lädt, die Wände mit Gemälden angesagter Künstler behängt und sich an der Hörigkeit seiner Freunde und Freundinnen ergötzt.

"Berauscht von Opium, Champagner, Brandy und Kokain, stießen Jacaranda und Etienne aufeinander und trieben es manchmal bis zum Morgengrauen, dann schlenderten sie über den taufeuchten Rasen (sie wusste nie, ob er dieses Paradies eigentlich besaß oder nur gemietet hatte) und blickten hinab auf L. A., wie es hellrosa, dann gelb, dann diesig wurde."

Die einzige, die das Leben ihrer Schwester kritisiert, ist April. Doch erst als eine lokale Kulturzeitschrift Jacarandas zufällig nebenbei geschriebene Texte über "Surfen" druckt, vollzieht sie eine Wende. Und es kommt noch märchenhafter: eine Literaturagentin aus New York vermittelt sie an eine Zeitung, mit dem Versprechen eines in Arbeit befindlichen Buchs. Ja, eines Buchs! Jacaranda hat wohl einen Berg von Zetteln, den sie in ihrer Not, liefern zu müssen, eines Tages auch abschickt. Das ist Hollywood! Der Verlag bastelt sich aus dem Zettelchaos ein Werk.

"Jacaranda las die Fahnen und kriegte Gänsehaut vor lauter Ehrfurcht. Wie hatte es jemand – nur durch seinen genialischen Instinkt – schaffen können, genau zu wissen, was sie eigentlich sagen wollte!"

Mit Alkohol-Problem und Entzugserscheinungen sitzt sie eines Tages im Flieger nach New York.

Das ist vergnüglich zu lesen. Trotzdem erscheint Eve Babitz‘ hedonistische Feier des Westküsten-Mythos von "sex-and-drugs- and Rock-‚n‘-Roll" heute, nach diversen Emanzipationsbewegungen seit den 1960er Jahren, mit #MeToo und den Missbrauchsfällen in der Branche im Hinterkopf, arg aus der Zeit gefallen.