Buchcover: "I love my bike - Geschichten vom Fahrradfahren" von Marion Hertle

"I love my bike - Geschichten vom Fahrradfahren" von Marion Hertle

Stand: 04.07.2024, 19:50 Uhr

Eine Sammlung von Fahrradgeschichten, die von Lust und Pein der sportlichen Fortbewegung erzählen. Nüchterne Erfahrungsberichte und schwärmerische Empfehlungen. Von Autorinnen und Autoren aus diesem und aus dem letzten Jahrhundert. Ein Buchtipp von Monika Buschey.

I love my bike – Geschichten vom Fahrradfahren
Gesammelt von Marion Hertle
Diogenes Verlag, 250 Seiten, 14 Euro

"Wenn Sie niedergeschlagen sind, wenn Ihnen die Tage dunkel vorkommen, wenn die Arbeit eintönig ist, wenn Hoffnung kaum noch lohnenswert erscheint – dann steigen Sie einfach auf ein Fahrrad. Fahren Sie die Straße hinab, ohne an anderes zu denken als an Ihren wilden Ritt."

Ob wilder Ritt oder gemächliches Genussradeln – Arthur Conan Doyle hat unbedingt recht, wenn er Stubenhockern frische Luft verordnet. Gerade Schreibende neigen doch dazu, sich in Gedanken, Worten, Luftschlössern zu verirren. Oder sollte es sich bei diesen Überlegungen um ein Vorurteil handeln? Jedenfalls sind im handlichen Bändchen 'I love my bike', das ist in jeder Fahrradtasche Platz findet, Autoren und Autorinnen aller Couleur versammelt, die vom regelmäßigen oder gelegentlichen Gebrauch des Fahrrads berichten. Es geht um die Lust am beschwingten Vorwärts kommen, um Blut, Schweiß und Tränen, wenn Widrigkeiten zu überwinden sind. Kirsten Fuchs berichtet, wie das ist, wenn das Fahrrad geklaut wird:

"Es ist weg! Ich bleibe dabei, es ist geklaut worden, mein Fahrrad! Es ist nicht so wie mit dem Weltfrieden, dass es nie da gewesen ist – das stimmt nicht, denn es war da, mein Fahrrad!"

Thomas Gslla schreibt ein Gedicht über eine Frau, die klaut:

"Es war mir nicht genug, als eine späte Sommerluft mir deinen Duft zutrug: so wollte ich dich sehn. Ich ging zum Fenster hin und sah an meinem Rad dich stehn gleich unter mir, geduckt. Zu deinen Knien ein Werkzeuglein. Da hats mich lieb durchzuckt, ach, du! Und meine Hand bestrich dein weiches Haar so leicht, als sei ihr längst bekannt, was sie noch nie gefühlt. Du wandtest dein Gesicht mir zu und sprachst leicht unterkühlt: 'Hau ab, du Idiot!' Und brachst das Schloss und fuhrst dahin Fern glühte Abendrot."

Seite für Seite ist dieses Buch Vergnügen und Anregung. Lesend erfahren wir, wie es woanders zugeht als im vertrauten Umfeld. Übers Radfahren vermitteln sich Einblicke ins soziale Leben, in die politischen Verhältnisse sogar. Lena Gorelik:

"In der Sowjetunion, wo ich aufgewachsen bin, war das Fahrrad kein Fortbewegungsmittel, zumindest nicht in der Großstadt. Auf zehnspurigen Straßen gibt es in meiner Erinnerung keine Räder. Fahrräder gehören auf die Datscha, wo die Sonne nie untergeht, so will ich mir diese Sommer merken. Ein Bullerbü-Leben inmitten von Mangelwirtschaft. Während meine Großeltern mit ihren müden, schmerzenden Händen einen Vorrat an Lebensmitteln hochzuziehen und einzulegen versuchten, fuhr ich mit dem Fahrrad zwischen den Datschas umher."

Beschauliche oder abenteuerliche Episoden – das Vorankommen in diesem Buch ist einer Radtour ganz ähnlich: Es gibt ständig Überraschungen. Vor allem dann, wenn sich ein Autor tief in die verschiedenen Erscheinungsformen des Zweirads einarbeitet, wie Uwe Timm, der wunderbar komisch beschreibt, wie sein Onkel das Hochrad zu bezwingen versuchte:

"Er war ja notgedrungen Autodidakt und hatte sich eine Broschüre zur Erlernung des Hochradfahrens besorgt, in der in zahlreichen Abbildungen das richtige Auf- und Absteigen illustriert worden war. Mein Onkel erlebte an diesem Nachmittag den großen und grundlegenden Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Er stieg auf und fiel um. Er stand wieder auf und fiel wieder um. Ich fragte mich, warum er sich dieser Tortur unterzog."

Thematische und stilistische Vielfalt. Geschichten von Menschen und Maschinen und dem nicht zu unterdrückenden Vorwärtsdrang. Da hatten wir geglaubt, das ein oder andere über das französische Philosophen-Paar Simone de Beauvoir und Jean Paul Sartre zu wissen, und wussten nicht, dass die beiden begeisterte Fahrradfahrer waren.

"Sartre machte viel lieber Radtouren als Fußwanderungen. Es machte ihm Spaß, bergauf zu sprinten. Ich pustete, weit abgeschlagen, hinterher. Wie ich liebte er die Abfahrten. Gerne tauschte ich dieses neue Vergnügen gegen meine frühere Leidenschaft ein."

Und wer sich lieber auf dem Sofa als auf einem Fahrradsattel entspannt, wird die Lektüre umso mehr genießen können.