Buchcover: "Godwin" von Joseph O'Neill

"Godwin" von Joseph O'Neill

Stand: 05.07.2024, 13:09 Uhr

Auf der Jagd nach dem neuen Lionel Messi. Joseph O’Neills spannender Roman "Godwin" über skrupellose europäische Fussballscouts in Afrika.

Joseph O’Neill: Godwin
Aus dem Englischen v. Nikolaus Stingl.
Rowohlt, 480 Seiten, 28 Euro

"Godwin" von Joseph O'Neill

Lesestoff – neue Bücher 15.07.2024 05:19 Min. Verfügbar bis 15.07.2025 WDR Online Von Simone Hamm


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Der Junge hat das Zeug, ein neuer Lionel Messi zu werden. Er soll unbedingt an eine Fussballakademie gehen. Es gibt ein Video von seinen unglaublichen Fussballkünsten. Und es gibt ein Problem:

"Das Video zeigte einen Ballplatz irgendwo in Afrika. Rote Erde. Ein Halbwüchsiger, der Fussball spielt wie ein Gott… Der Junge ist zig Millionen wert. Sie müssen ihn nur finden."

Niemand weiß, wo das Video aufgenommen worden ist, niemand weiß, wo der Junge ist.

Mark Wolfe, ein Wissenschaftler in den Dreißigern, der jetzt davon lebt, dass er Förderanträge für Pharmaunternehmen beantragt und medizinische Fachartikel schreibt, wird von seinem Halbbruder angerufen. Er erzählt von dem jungen Fussballer, den er Godwin nennt. Godwin, das ist ein altenglischer Namen: God für Gott und win für Freund. Er bittet seinen Halbruder, den Jungen zu finden.

"Du bist der klügste Mensch, den ich kenne ... Wenn du ihn nicht finden kannst, kann es niemand."

Eine transkontinentale Jagd beginnt. Eine Jagd nach einem Fussballer, eine Jagd nach Geld. Im Hintergrund des Videos sind Berge zu sehen. Mehr oder weniger zufällig findet Mark Wolfe mit Hilfe einer Geolokalierungstechnogie diesen Ort. In Benin.

Joseph O’Neill erzählt fesselnd vom Menschenhandel in der globalisierten Welt, vom heutigen Kampf um Ressourcen in Afrika. Auch "menschlichen Ressourcen". Nicht zufällig wird Godwin "Schwarzer Diamant" genannt.

Er zeigt die Suche nach talentierten Fussballern als Fortsetzung der Ausbeutung Afrikas. Mark Wolfe zieht einen cleveren Fußballscout ins Vertrauen, Jean Luc Lefebvre. Er hat die Erfahrung, die Wolfe fehlt:

"Was er bei einem Spieler sucht? Ganz einfach: Verantwortung, Phantasie und Einfachheit. Diese Qualitäten wahrzunehmen war … eine Frage der Intuition, deren Beantwortung … in der Nutzung Tausender und Abertausende in der Erinnerung abgespeicherter Stunden (lag), die man im Laufe vieler Jahre … mit Fussballanschauen verbracht hat. Es war eine Frage des Wiedererkennens, nicht der Entdeckung."

Lefebvre macht sich sofort, ohne Wolfes Wissen nach Afrika auf. Diese Reise nach Afrika steht ganz in der Tradition von Joseph Conrads "Herz der Finsternis". Nicht nur, weil es auch hier im Zentrum ein Mann aus dem Westen auf der Suche nach Macht, Geld und Eitelkeit steht. Wie Conrad läßt auch Joseph O’Neill nicht nur seine Hauptfigur sprechen. Es gibt viele Stimmen: Allen voran die von Jean Luc Lefebvre. Der wiederum läßt seinen Guide, den Vater des Gesuchten und etliche andere sprechen. Die Schilderung dieser Reise nach Benin gehört zu den stärksten Kapitel des Buches. Formal und stilistisch. Und auch, weil sie so unglaublich spannend ist.

"Die Fahrt nach Norden sei abenteuerlich gewesen, fährt Levbvre fort. Die unaufhörlichen Schlaglöcher, die aus der Nähe auftauchenden Fussgänger, die Polizeikontrollpunkte, die wild kurvenden Motorräder…Er sah Arbeit. Er sah Männer, Frauen, Kinder arbeiten, arbeiten, arbeiten. Morgens, mittags und abends. Die Menschen, die man vermeintlich nichtstuend am Strassenrand sah, arbeiteten oder hofften auf Arbeit. In Afrika, sagt Lefebvre, müsse man hart arbeiten, bloß um die Gelegenheit zu bekommen, hart zu arbeiten."

In "Godwin" gibt es noch einen zweiten Erzählstrang. Er spielt im Büro einer Gemeinschaft von Autoren, die für Pharmakonzerne arbeiten. Auch Wolfe arbeitet hier. Dieser zweite Erzählstrang über toxisches Büroleben, über die Fragen nach Idealismus und Rentabilität verliert sich in zu vielen Seitenhandlungen. Zu viele Personen werden eingeführt. Manchmal blitzt etwas Komödiantisches auf, Galgenhumor, über weite Strecken ist es eher zäh.

Dennoch: "Godwin" ist ein beeindruckender Roman. Die Geschichte von der Jagd nach Godwin ist grandios erzählt. Und dabei wendet O’Neill einen besonderen Kniff an. Die Titelfigur Godwin selbst bleibt fast immer im Hintergrund. Lange ist er gar nicht fassbar. Lange weiß man nicht, ob es ihn überhaupt gibt. O’ Neills Thema ist vielmehr die Gier derer, die Godwin unbedingt aufspüren wollen.

Wer immer noch an Sportlichkeit glaubt zu einer Zeit, da die großen Fussballvereine amerikanischen Investorengruppen oder arabischen Herrscherfamilien gehören, Weltmeisterschaften Wüstenstaaten zugeschlagen werden, die es mit den Menschenrechten nicht allzu ernst meinen, der wird spätestens nach der Lektüre von "Godwin" eines Besseren belehrt sein.