Ein Pflegebedürftiger wird gefüttert

Sozialverbände der christlichen Kirchen

Konzerne, die keine sein wollen

Stand: 28.09.2007, 06:00 Uhr

"Wohltätigkeitskonzerne" wollen sie nicht gerne genannt werden, die kirchlichen Sozialverbände Caritas und Diakonie. Doch die Ausmaße von Großunternehmen haben sie allemal.

Von Ludger Fittkau

Der katholische Caritasverband gehört mit bundesweit 500.000 Beschäftigten in vielen Regionen zu den größten Arbeitgebern, das evangelische Diakonische Werk mit rund 435.000 Hauptamtlichen ist kaum kleiner. Einer von vierzig Erwerbstätigen in Deutschland arbeitet bei einem kirchlichen Wohlfahrtsverband.

Von A wie Altenhilfe bis T wie Telefonseelsorge reicht die lange Liste der sozialen Arbeit der Kirchen. Entstanden sind sie im 19. Jahrhundert, als Reaktion auf die sich zuspitzenden sozialen Probleme während der Industrialisierung. Heute sehen die kirchlichen Sozialverbände ihre Rolle "zwischen Markt und Staat". Schnelle und unbürokratische Hilfen, professionell geleistet und mit bürgerschaftlichem Engagement unterstützt, betonen sie als ihre Stärken. Der Marburger Sozialethiker Franz Segbers schreibt Verbänden wie Diakonie und Caritas eine Dreifach-Funktion als "soziale Dienstleister, Anwälte von Benachteiligten und Stifter von Solidarität" in der Gesellschaft zu.

500.000 Hauptamtliche in NRW

In Nordrhein-Westfalen haben sich Diakonie und Caritas mit den eher säkulären Verbänden Parität, AWO und Rotes Kreuz sowie als weiterer religiöser Vereinigung mit der Jüdischen Kultusgemeinde zusammengeschlossen. Muslimische Verbände sind in dieser Organisation, die zwischen Rhein und Weser etwa 500.000 Hauptamtliche der sozialen Arbeit repräsentiert, bisher nicht vertreten.

"Hilfe in besonderen sozialen Schwierigkeiten"

Die Einzelbereiche, in denen die Verbände agieren, sind weit verzweigt. So hat beispielsweise die Diakonie unter dem Stichwort "Familienhilfe" eine ganze Reihe von Angeboten gebündelt: Von der Familienbildung über die Müttergenesung bis zu Frauenhäusern und Beratungsstellen für Schwangerschaftskonflikte reicht das Spektrum in diesem Feld. Die Hilfe für Obdach- und Wohnungslose oder Strafentlassene, die Bahnhofsmission, aber auch mobile Dienste für Prostituierte werden im Diakonischen Werk unter dem Begriff "Hilfe in besonderen sozialen Schwierigkeiten" zusammengefasst.

Mehr als ein Dutzend weitere soziale Arbeitsfelder sind auf ähnliche Weise bei Diakonie und Caritas gegliedert. Krankenhäuser, Hospize und Kindergärten gehören zu den 25.000 Einrichtungen mit mehr als 1,1 Millionen Plätzen oder Betten, die allein die Caritas als größter deutscher Wohlfahrtsverband betreibt. Soziale und ökologische Projekte vor allem in Entwicklungsländern werden zusätzlich von kirchlichen Organisationen wie "Brot für die Welt" oder "Misereor" verantwortet.

Zahlreiche Unterorganisationen

Der Deutsche Caritasverband verzeichnet zahlreiche Unterorganistionen. In NRW existieren parallel zu den katholischen Bistümern in Aachen, Essen, Köln, Münster und Paderborn Diözesan-Caritasverbände. Dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gehören als Mitglieder die Diakonien von 22 Landeskirchen der EKD, neun Freikirchen mit ihren diakonischen Einrichtungen sowie Fachverbände der verschiedensten Arbeitsfelder an. In NRW ist die Diakonie in die Teilverbände Rheinland, Westfalen und Lippe gegliedert.

Wachsende private Konkurrenz

Für ihre soziale und pädagogische Arbeit erhalten die kirchlichen Organisationen als freie Träger der öffentlichen Wohlfahrtspflege Zuschüsse vor allem vom Staat. Kirchensteuermittel und Spenden sind weitere wichtige Finanzquellen. Beispielsweise für Kindergärten bringen die Kirchen in der Regel einen Eigenanteil auf, der meist zwischen 10 und 30 Prozent liegt. Staatliche Sparpolitik und wachsende Konkurrenz privater Anbieter (zum Beispiel Pflegedienste) sowie der Rückgang von Kirchensteuereinnahmen mindern die Budgets der kirchlichen Dienste.

In Zukunft auch muslimische Sozialverbände?

Der demografische Wandel wirkt sich ebenfalls einschneidend auf bestehende Institutionen aus. So geht beispielsweise die Diakonie in Westfalen und Lippe in ihrem Jahresbericht 2006 davon aus, das sich bis 2010 der Bedarf an Kindergartenplätzen in diesem Teil von NRW bei den Drei- bis Sechsjährigen um 36.000 Plätze reduzieren wird. Das wird auch die Einrichtungen nicht unberührt lassen. Noch bieten die Kirchen 44 Prozent aller Kindergartenplätze in Deutschland an. Über 30.000 Voll- und Teilzeitkräfte arbeiten bisher in den kirchlichen Kindergärten allein in NRW.

Diskutiert wird in kirchlichen Akademien auch längst die Frage, wie sich die wachsende Zahl der Muslime hierzulande in der sozialen Arbeit auswirkt. Bisher verfolgt man meist die Politik, die Einrichtungen von Caritas und Diakonie für Menschen islamischen Glaubens zu öffnen. Doch auch eigene muslimische Sozialverbände sind in Zukunft als Akteure der freien Wohlfahrtspflege denkbar.