Präses Nikolaus Schneider neben dem Schriftzug 'Evangelische Kirche im Rheinland'

"Schere zwischen Arm und Reich frustriert mich"

Präses Nikolaus Schneider im Interview

Stand: 08.01.2013, 06:30 Uhr

Zehn Jahre lenkte Nikolaus Schneider als Präses die Evangelische Kirche im Rheinland (EKiR). Nun geht er in den Ruhestand, und die 219 Mitglieder der Synode wählen am Donnerstag (10.01.2013) seinen Nachfolger. Mit WDR.de blickt Schneider zurück auf seine Amtszeit.

Als Nachfolger von Margot Käßmann wurde Nikolaus Schneider 2010 Präses der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD). Bereits seit einem Jahrzehnt steht der Duisburger Arbeitersohn der mit knapp 2,8 Millionen Mitgliedern zweitgrößten deutschen Landeskirche, der Evangelischen Kirche im Rheinland, vor. Mit 65 Jahre gibt der Theologe dieses Amt am 3. März offiziell an seinen Nachfolger weiter. Zwei Frauen und ein Mann stellen sich den Synodalen in Bad Neuenahr zur Wahl. Ratschef der EKD bleibt Schneider noch bis 2015.

WDR.de: Welchen Einfluss hatten Sie als Präses auf Politik und Gesellschaft?

Nikolaus Schneider: Das ist schwer zu messen. Die Gesprächsmöglichkeiten waren allerdings außerordentlich - mit Politikern, Verbandsvertretern, Gewerkschaftlern. Aber wir als Kirche wollen ja nicht selbst Politik machen, sondern Politik möglich machen.

Es gibt allerdings ein Thema, bei dem ich wirklich frustriert bin. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer weiter. Ich habe die zahlreichen Probleme, die sich daraus für unser Zusammenleben ergeben, immer wieder thematisiert, aber getan hat sich nichts.

WDR.de: Alle Kirchen kämpfen gegen Mitgliederschwund und schrumpfende finanzielle Mittel: Wie hat sich die Evangelische Kirche im Rheinland in den vergangenen zehn Jahren verändert?

Schneider: Wir haben seit den siebziger Jahren zurückgehende Mitgliederzahlen. Das ist ein demoskopisches Problem, da immer weniger Kinder geboren werden. Seit den neunziger Jahren wirkt sich diese Tatsache auch auf die Einnahmen durch die Kirchensteuer aus. Wir mussten in den vergangenen Jahren deshalb überlegen: Wie wird die Situation in den Jahren 2023 oder 2030 aussehen? Da klar ist, dass wir erheblich weniger Ressourcen haben werden, müssen wir jetzt die Weichen stellen. Das war und ist eine erhebliche Herausforderung.

WDR.de: Ihre Kirche ist im Netz sehr aktiv. Von der Landessynode wird zum Beispiel getwittert, es gibt eine eigene Gruppe auf Facebook. Sind Sie auch privat in sozialen Netzwerken unterwegs?

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), Nikolaus Schneider, spricht am 15.05.2014 bei einem Freilichtgottesdienst in Wuppertal (Nordrhein-Westfalen).

Schneider: Ehrlich gesagt nein. Ich bin da zwiegespalten. Einerseits finde ich es klasse, was unsere Öffentlichkeitsarbeit in dem Bereich auf die Beine stellt, aber mir ist die ganze Sache fremd. Der gesittete Umgang miteinander bleibt bei diesen Kommunikationsformen zu oft auf der Strecke, finde ich.

WDR.de: Zurück zu Ihrer Amtszeit: Mit welchen Ergebnissen sind Sie zufrieden?

Schneider: Ich bin froh, dass wir es geschafft haben, eine Kirche zu erhalten, die nicht auf Fahrdienste für Senioren reduziert ist. Wir konnten uns beispielsweise ebenso auf Jugendarbeit und Kirchenmusik konzentrieren. Über den Weg, den wir in der Flüchtlingsarbeit gehen konnten, bin ich ebenfalls glücklich. Auch die Weiterentwicklung unserer Medienarbeit ist wichtig. Die Kirche muss zuallererst das Evangelium unter die Leute bringen. Und dafür sind die modernen Kommunikationsformen sehr wichtig.

Eines meiner schönsten Erlebnisse und ein großer Erfolg für unsere Kirche war der Deutsche Evangelische Kirchentag in Köln. Wir haben unter Beweis gestellt, dass wir in der Lage sind, eine solch riesige Veranstaltung mit weit über 100.000 Menschen zu organisieren. Ich bin davon überzeugt, dass der Kirchentag mit seinem Motto "Lebendig, kräftig, schärfer" wichtige Impulse in die Kirche und die Gesellschaft gesendet hat. Und auch als ökumenische Erfahrung war er toll. Ohne die Unterstützung des katholischen Kölns wäre der Kirchentag nie so ein Erfolg geworden. Mein gemeinsamer Gottesdienst mit Kardinal Meisner im Kölner Dom war nur ein Beispiel dafür.

WDR.de: Während Ihrer Amtszeit hat die EKiR sich in vielerlei Hinsicht neu strukturiert. Letztlich auch weil das Geld weniger wird. Nach dem Finanzskandal um das kircheneigene Beihilfe- und Bezügezentrum bbz musste die Kirche im vergangenen Jahr 21 Millionen Euro in das Unternehmen stecken, um die Verluste durch zweifelhafte Anlagegeschäfte aufzufangen. Wie bitter war das?

Schneider: Absolut bitter. Zwei Aspekte treiben mich in dem Zusammenhang um. Erstens war es Betrug - wir sind bestohlen worden. Und zweitens gab es auf der Seite der Kirche ein ungenügendes Management. Aber die Kirchenleitung hat ganz entschieden reagiert und Reformen angestoßen. Im Augenblick arbeitet die Firma gut und ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass die 21 Millionen nicht vollständig verloren sind.

WDR.de: Als Sohn eines Hochofenarbeiters und Kämpfer für soziale Gerechtigkeit haben Sie immer auch engen Kontakt zur Arbeitgeberseite gepflegt und gelten als vermittelnder Präses. Können Sie sich an Gespräche erinnern, bei denen Sie Argumente der Managerseite restlos überzeugt haben?

Schneider: Zunächst will ich sagen, dass es viele verantwortlich handelnde Unternehmer gibt. Und was sich beim Handwerk und im Mittelstand tut, finde ich einfach klasse. Ganz sicher habe ich den Zwang, unter dem Verbandsvertreter und Manager stehen, besser verstehen gelernt. Aber ich habe auch gelernt, dass die Finanzindustrie viel zu viel Einfluss hat und auf egoistische Weise Produkte und Dienstleistungen verkauft, die ihnen alleine und keinesfalls dem Allgemeinwohl dienen. Dadurch ist eine gefährliche Schieflage entstanden.

Die Fragen stellte Katrin Heine.