Öffentlicher Rückzug ins Private
Letzter Amtstag von Nikolaus Schneider
Stand: 09.11.2014, 06:00 Uhr
Am Sonntag (09.11.2014) trat Nikolaus Schneider als Vorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zurück. Vier Jahre war der Duisburger der oberste Repräsentant der 23 Millionen deutschen Prostestanten. Nun will er seiner schwer kranken Frau Anne beistehen.
Von Anke Fricke
In Dresden berichtet Schneider der Synode zum letzten Mal über die Arbeit im Rat. Das Kirchenparlament wählt am Dienstag (11.11.2014) seinen Nachfolger. Der Rheinländer gibt ein Amt ab, das er gar nicht haben wollte. Nach dem plötzlichen Rücktritt von Margot Käßmann übernahm Schneider im Februar 2010 den Ratsvorsitz und sollte diesen bis zum Ende der Wahlperiode im Herbst 2015 behalten. Doch dann erkrankte seine Frau an Brustkrebs.
Nikolaus Schneider kündigte Ende Juni seinen Rücktritt an, um mehr Zeit für seine Frau zu haben. "Ich wollte nicht erst aufhören, wenn wir Sterbebegleitung leisten müssen, sondern wenn wir leben", erklärte Schneider. In mehreren Interviews und in dem WDR-Film "Liebe ist stärker als der Tod" gaben Nikolaus und Anne Schneider der Öffentlichkeit einen tiefen Einblick in ihr Privatleben.
Alles ist ein Zeugnis des Glaubens
Anne und Nikolaus Schneider
Sie wollten damit auch ein Signal geben. Es sei gut für die Kirche, wenn man offen miteinander umgehe. "Was ich tue, ist immer ein Zeugnis meines Glaubens. Das betrifft auch unsere Liebe und Partnerschaft", begründete Schneider seinen Gang in die Öffentlichkeit. Viel Beachtung fand, dass er seine Frau auch zur Sterbehilfe in die Schweiz begleiten würde - entgegen seinen theologischen Überzeugungen. "Am Ende ist es Ausdruck meiner Liebe, Wege zu gehen, die ich theologisch nicht mittrage", sagt Schneider. Damit mischt sich das Theologen-Paar mit ihrem persönlichen Schicksal in die öffentliche Diskussion um die Sterbehilfe ein.
Debatte über Gewalt im Koran
Anders als seine Vorgängerin Käßmann, die gerne zuspitzte, sieht sich Schneider mehr als Moderator, der den Sorgen der Menschen eine Stimme verleiht. Seine erste Pfarre leitete er 1976 in Duisburg-Rheinhausen und kämpfte gemeinsam mit Bergleuten und Stahlkochern um den Erhalt ihrer Jobs. Der Sohn eines Stahlarbeiters gilt als bodenständig und wurde 1987 Superintendent des Kirchenkreises Moers. Von da an stieg er in der Kirche auf. 2003 wurde er Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, 2010 dann zum "obersten" Protestanten in Deutschland.
Dialog mit anderen Relegionen
Nikolaus Schneider und Papst Franziskus
Schneider bemühte sich in seiner Amtszeit um den Dialog mit den anderen Religionen, agierte aber oft im Hintergrund. Muslimische Spitzenvertreter lud er kurzerhand zu sich nach Hause zum Abendessen ein. Trotz ökumenischer Rückschläge suchte der 67-Jährige auch die Nähe zur Katholischen Kirche. Papst Benedikt XVI. traf er 2011 im Erfurter Augustinerkloster. Papst Franziskus empfing den EKD-Ratsvorsitzenden wenige Wochen nach seinem Amtsantritt in Rom. 2012 ehrte die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Schneider mit der Buber-Rosenzweig-Medaille.
Schneider mischt sich ein
Man kann sich schwer vorstellen, dass Nikolaus Schneider künftig nicht mehr seine Stimme erhebt. Als Bundespräsident Joachim Gauck wegen seiner Zweifel an einem Ministerpräsidenten der Linken in die Kritik geriet, bekam er Rückendeckung vom EKD-Ratsvorsitzenden: "Ein Bundespräsident hat zwar ein Amt, aber er ist auch ein Mensch." Das Amt werde fade und langweilig, wenn der Mensch nicht mehr erkennbar sei.
Die Islamverbände rief Schneider zuletzt auf, sich noch intensiver mit dem Thema Gewalt im Koran auseinanderzusetzen. Er gehe zwar davon aus, dass die Islamverbände sich für ein friedliches Zusammenleben unterschiedlicher Religionen einsetzten. "Wir müssen aber nüchtern feststellen, dass sich der IS auf den Islam beruft. Darüber haben wir zu debattieren", sagte Schneider in einem Interview mit der "Welt". Muslimische Gelehrte hätten es möglicherweise schwerer, eine friedlichere Lesart ihrer Religion durchzusetzen.
Ruhiger und besonnen
Als Präses im Rheinland ging Schneider bereits 2013 in Rente. Doch das Amt des Ratsvorsitzenden übte er weiterhin ehrenamtlich aus. Damit ist nun Schluss. Künftig will er sich vor allem seiner kranken Frau widmen. Schon einmal hat seine Familie gegen den Krebs gekämpft, seine dritte und jüngste Tochter Meike starb 2005 an Leukämie. Die Schneiders verarbeiteten den Verlust gemeinsam in einem Buch und in Vorträge zum Thema Tod und Trauer. Ihren Glauben haben sie trotz des Leids nicht verloren. Schneider sagte über sein Verhältnis zu Gott: "Ich bin mir sicher, dass ich mich einigen peinlichen Fragen stellen muss, wenn ich dereinst Gott gegenüberstehe. Aber ich werde auch kritische Fragen an ihn haben."