Datenschützer warnt vor Ausforschung der User
Die Sorge um Personenprofile
Stand: 22.06.2011, 06:00 Uhr
Fotos, Geburtsdatum, Beziehungsstatus: Unternehmen wissen mehr über uns, als uns lieb ist. Am Mittwoch (22.06.2011) diskutiert Bundesdatenschutzbeauftragter Peter Schaar darüber auf dem Medienforum NRW. Ein Gespräch vorab.
Peter Schaar, Jahrgang 1954, ist seit Dezember 2003 Bundesbeauftragter für den Datenschutz, seit 2006 auch Bundesbeauftragter für die Informationsfreiheit. Am Mittwoch (22.06.2011) diskutiert er auf dem 23. Medienforum NRW in Köln unter anderem mit Jan Kottmann (Leiter Medienpolitik Google Deutschland) und dem Direktor der Landesanstalt für Medien, Jürgen Brautmeier, auf der Veranstaltung "Orwells Albtraum" die Frage: Wie viel Schutz brauchen personenbezogene Daten?
WDR.de: Was ist Ihnen das Wichtigste beim Schutz Ihrer persönlichen Daten?
Peter Schaar: Es geht mir darum, dass ich die Kontrolle darüber behalte, wer welche privaten Informationen über mich bekommt. Ich bin in gewissem Umfang natürlich auch eine öffentliche Person, und insofern ist es natürlich auch erwünscht, dass manches über mich bekannt wird. Aber nicht, wenn es um private Angelegenheiten geht.
WDR.de: Wie soll der Datenschutz nach Ihrem Wunsch 2020 funktionieren?
Schaar: Zentral ist für mich, dass wir nicht einfach zu Objekten von Datenverarbeitung verkommen, dass letztlich also Dritte Dinge über uns wissen und wir denen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Natürlich sind es in erster Linie Unternehmen, die diese Informationen über uns sammeln. Insofern kommt es darauf an, die davon zu überzeugen, dass es auch Geschäftsmodelle geben kann, bei denen sie eben mit weniger Daten von uns auskommen. Das ist sehr schwer. Wo das nicht gelingt, wird der Gesetzgeber - Bundestag und Europäisches Parlament - tätig werden müssen, um den Schutz der Bürger vor einer umfassenden Registirierung zu gewährleisten.
WDR.de: Welche personenbezogenen Daten sind die wertvollsten für die Industrie?
Schaar: Das kommt auf das jeweilige Geschäftsmodell an. Die Daten haben einen eigenen Wert, sie werden gehandelt, im Online-Verfahren sogar versteigert. Das ist der nächste Schritt: Unternehmen, die in Echtzeit an einer virtuellen Börse um Daten bieten. Den Unternehmen wird damit die Möglichkeit eingeräumt, Werbebotschaften zu platzieren. Darüber hinaus werden diese Daten auch zur Erstellung sogenannter Risikoprofile verwendet. Das heißt, man kann damit auch Personen identifizieren, mit denen man auf keinen Fall zu tun haben will. Das kann bei einer Krankenkasse das Ziel sein, möglichst keine Kranken als Kunden zu haben. Diese Märkte entstehen bereits und ich habe Sorge, weil der Betroffene nur sehr wenige Möglichkeiten hat, überhaupt zu beeinflussen, wer da was über ihn erfährt.
WDR.de: Sind Daten also längst Währung in einem ansonsten weitgehend kostenlosen Internet?
Schaar: Ja und die Unternehmen, die es am besten verstehen, an die Daten der Betroffenen zu kommen, können gezielt werben und sogar Dienste mitliefern, die für die Nutzer attraktiv sind. Es wird also am Eigeninteresse der Nutzer angesetzt, vermeintlich nichts zu zahlen, tatsächlich zahlt man dann mit den eigenen Daten. Ob das letztlich ein gutes Geschäft ist, da habe ich meine Zweifel.
WDR.de: Wie viel Anonymität im Netz ist zukünftig überhaupt realistisch?
Schaar: Anonymität wird es im Internet immer in einem gewissen Umfang geben, aber es gibt auch immer die gegenteilige Tendenz, das Verhalten im Internet zu kontrollieren. Im Augenblick habe ich den Eindruck, dass die Kontrollierbarkeit sehr deutlich zunimmt. Deshalb muss man genau dort ansetzen, dass wieder Werte ins Bewusstsein kommen wie Datensparsamkeit, der Grundsatz der Erforderlichkeit: wer muss die Daten eigentlich haben, um einen bestimmten Dienst zu erfüllen - das ist ein ganz wichtiger Punkt. Und Techniken müssen so gestaltet werden, dass sie selbst datenschutzgerecht sind und dem Betroffenen die Kontrolle über seine Daten zumindest weitgehend zurückgeben.
WDR.de: Der Branchenverband Bitkom (Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V.) hat dem damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière im März 2011 einen Datenschutz-Kodex der Industrie überreicht. Ein guter Schritt?
Schaar: Ich halte es zunächst für erfreulich, dass sich Unternehmen darüber Gedanken machen, wie man Daten schützen kann. Ärgerlich finde ich an diesem konkreten Fall, dass dieser Datenschutz-Kodex - anders als ursprünglich vorgesehen - mit den Datenschützern nicht abgesprochen worden und deshalb defizitär ist. Deshalb erwarte ich, dass dort noch nachgebessert ist. Zum Zweiten meine ich, so wichtig die Selbstregulierung gerade im Internet ist, wird sie nicht einfach alles zurechtrütteln. Was ist mit den Unternehmen, die sich an so einen Kodex nicht halten? Wie ist es mit Diensten, die über die Länder- und Kontinentsgrenzen hin angeboten werden? Wie sind Sanktionen möglich? Da habe ich meine Zweifel. Wir brauchen klare Regeln und rote Linien, die den Umgang mit den personenbezogenen Daten noch klarer regeln als es bisherige Datenschutzregeln vermögen, die noch aus einer anderen Zeit stammen.
WDR.de: Wie weit könnten Regeln denn gehen? Wäre etwa Schmerzensgeld bei Verstößen gegen den Datenschutz denkbar?
Schaar: Die zivilrechtliche Haftungsregelung ist sicherlich verbesserungsbedürftig, dazu gehören sicherlich auch Schadensersatz oder Schmerzensgeldansprüche. Aber das ist nicht das Entscheidende, denn der einzelne Betroffene wird dadurch auf einen Rechtsweg verwiesen - die ohnehin überlasteten Gerichte werden sich dafür bedanken. Viel wichtiger erscheint mir, dass klare, gut verständliche und strikt durchgesetzte Regeln etabliert werden, die diesen Mindestschutz der persönlichen Daten gewährleisten. Und die vor allem gewährleisten, dass der Betroffene ein hohes Maß an Transparenz und Entscheidungsfreiheit hat. Es geht ja nicht darum, die Nutzer zu bevormunden, aber hinter dem Rücken der Betroffenen sollen keine Profile gesammelt werden oder biometrische Datenbanken entstehen. Das ist teilweise heute schon Realität und könnte noch sehr ärgerlich für die Betroffenen werden.
WDR.de: Wie gut hören Unternehmen wie Google einem deutschen Datenschützer zu?
Schaar: Ich denke schon, dass diese Unternehmen mittlerweile ganz gut zuhören. Zumal der deutsche und auch der europäische Markt ja nicht ganz ohne sind. Ich habe den Eindruck, dass der europäische Markt für manche Unternehmen schon wichtiger ist als der US-amerikanische Heimatmarkt. Gerade deshalb meine ich auch, dass wir als Datenschützer, aber auch die, die auf politischer Ebene versuchen, für faire Bedingungen einzutreten, nicht allzu bescheiden sein müssen. Deshalb sind wir nicht nur mit europäischen Partnern in Kontakt, sondern auch mit der Federal Trade Commission, die in den USA für entsprechende Verbraucherschutzbestimmungen zuständig ist.
WDR.de: Wie viel von mir steckt überhaupt in meinen online verfügbaren Informationen? Ist Panik immer gerechtfertigt, wenn es um Daten geht?
Schaar: Man muss natürlich immer genau hinschauen, um welche Daten es sich handelt, wer sie bekommt und was er damit tut. Wie lange bleiben sie gespeichert, wie können sie ausgewertet werden und wie könnten sie mit anderen Daten zusammengeführt werden. Deshalb ist es häufig nicht so leicht zu erkennen, was ist sensibel ist und was nicht. Die schiere Masse von Daten, die über das Internet erzeugt und gewonnen werden kann, macht mir Sorgen. Es geht um das Gesamtbild, das entsteht, wenn Daten aus unterschiedlichsten Quellen zusammengeführt werden.
WDR.de: Was liegt aktuell auf Ihrem Schreibtisch?
Schaar: Nun, es geht natürlich um die Profilbildung und die roten Linien (im Sinne von zu beachtenden Mindeststandards des Datenschutzes, Anm. d. Redaktion), zu denen das Bundesinnenministerium noch unter Thomas de Maizière, Maßnahmen ankündigt hatte. Sein Nachfolger Hans-Peter Friedrich ist sich offenbar noch nicht sicher, ob er das will. Ich würde ihn darin bestärken, diese Linie weiterzuverfolgen und daran zu arbeiten, dass wir in Deutschland, Europa, aber auch weltweit zu ordentlichen Datenschutzbestimmungen kommen, die eine überbordende Registrierung und Ausforschung der Nutzer unterbindet.
Das Gespräch führte Insa Moog.