Wenn der letzte Soldat abgezogen ist
Die Bundeswehrreform und ihre Folgen
Stand: 30.06.2013, 00:00 Uhr
Das münsterländische Rheine war mal einer der größten Bundeswehrstandorte in Deutschland. Jetzt wird nur noch das Ende der Garnisonsstadt verwaltet. Schuld ist die Bundeswehrreform. Was bleibt, ist der ungewisse Blick in die Zukunft.
Von Christian Wolf
Fassungslos reagierten die Menschen im münsterländischen Rheine vor zwei Jahren, als sie die Nachricht erreichte: Der ehemals zweitgrößte Truppenstandort der Bundeswehr in Deutschland soll im Zuge der Reform dicht gemacht werden. Vorbei die Zeiten der stolzen, traditionsreichen Garnisonsstadt. Im Sommer 2013 versuchen die Rheinenser den Blick nach vorne zu richten. Es stehen gravierende strukturelle Veränderungen an. Mit der Entscheidung von Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) hadern sie aber noch immer.
"Wir müssen die Entscheidung des Bundesverteidigungsministers akzeptieren. Objektiv nachvollziehbar ist diese Entscheidung für uns nicht", sagt Bürgermeisterin Angelika Kordfelder (SPD) zu WDR.de. Konkret geht es um die Schließung der Theodor-Blank-Kaserne bis 2017. Schon an diesem Sonntag (30.06.2013) wird das Transporthubschrauberregiment 15 "Münsterland" aufgelöst - nach Einsätzen in Afghanistan, Irak und auf dem Balkan. Mehr als 2.000 militärische und zivile Arbeitsplätze fallen weg. Aber schon seit einem Jahrzehnt blutet der Bundeswehrstandort an der nördlichen Grenzen von NRW langsam aus. Vor zehn Jahren waren noch rund 5.000 Soldaten in Rheine stationiert.
Millionenverluste befürchtet
Früher war die Münsterstraße in Rheine ein beliebter Treffpunkt für Soldaten. Vor allem die 'Tenne' (rechts im Bild), die seit Jahren geschlossen ist, war gut besucht.
Was die Bundeswehrreform für die Stadt mit 72.000 Einwohnern bedeutet, machen die Zahlen deutlich. Etwa 2.800 Menschen werden laut Berechnungen der Verwaltung aus Rheine und der Region wegziehen. Eine Nettolohnsumme von mehr als 17 Millionen Euro im Jahr fehlt - etwa dem Wohnungsmarkt oder dem Einzelhandel. Unternehmen brechen Aufträge im Volumen von vier Millionen Euro weg. Allein dadurch sollen noch einmal 200 Arbeitsplätze gefährdet sein. Der Gemüselieferant der Großküche ist genauso betroffen wie der Bäcker und die Kfz-Werkstatt.
Im Rathaus von Rheine ist dieser Tage viel von Strukturwandel die Rede. Die Hoffnungen gelten der Windenergiebranche oder dem Gesundheitswesen, wodurch wirtschaftliche Impulse und zählbare Arbeitsplätze entstehen sollen. "Wir streben einen Verbund mit Städten und Gemeinden in unserer Region an. Diese gemeinsame Projektentwicklung ist die Basis, um Fördermittel der Europäischen Union einzuwerben, um unsere Region und damit unsere Stadt strukturell zu stärken", sagt Bürgermeisterin Kordfelder. Dass Rheine damit in Konkurrenz zu anderen Regionen wie etwa dem Ruhrgebiet oder ländlichen Gebieten steht, macht die Sache nicht einfacher. Pläne für eine Hochschule mussten bereits begraben werden.
10.000 weniger Soldaten in NRW
Ermekeilkaserne übergeben
Die von Verteidigungsminister de Maizière als "tiefgreifenden Umbruch" bezeichnete Bundeswehrreform trifft in NRW zahlreiche Standorte. Insgesamt 24 Liegenschaften werden geschlossen und die Zahl der Dienstposten um rund 10.000 auf 27.000 reduziert. Die größten Einschnitte mit rund 2.000 Stellen muss Köln hinnehmen. Bundesweit gibt die Bundeswehr 32 Standorte komplett auf und verkleinert 90 teils drastisch. Die Truppenstärke soll von 250.000 auf 170.000 Berufs- und Zeitsoldaten sinken. Begründung für das alles: De Maizière will die Armee schlanker, moderner und effizienter machen.
Doch was passiert mit den riesigen Flächen? Aktuell kämpft Rheine noch mit den Folgen früherer Reformen. Während eine vor zehn Jahren geschlossene Kaserne erfolgreich in ein Gewerbe- und Wohngebiet umgewandelt werden konnte, gibt es für ein seit 2006 freies 35 Hektar großes Gelände nur vage Ideen. Was dann mit den insgesamt 285 Hektar der Theodor-Blank-Kaserne werden soll, ist völlig unklar. "Die Fläche liegt im Außenbereich, was eine größere Herausforderung für die Entwicklung von Nachnutzungsperspektiven bedeutet. Daher liegt unser Augenmerk besonders auf den im Stadtgebiet liegenden Bundeswehrflächen" erklärt Kordfelder die Prioritäten der Stadt.
Im Rathaus wird nun erst einmal eine Stelle geschaffen, die sich mit der Umwandlung beschäftigen soll. Erschwerend kommt hinzu, dass die freien Flächen der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben gehören. In langwierigen Verhandlungen muss zunächst der Kauf organisiert werden. Die brachliegenden Flächen verlieren unterdessen an Wert.
"Eine Katastrophe für Rheine"
Eingang zur Bundeswehrkaserne Theodor Blank in Rheine
An eine rasche Umwandlung der riesigen Areale glaubt Günter Thum nicht. "Es wäre schon ein großer Glücksfall, wenn ein Unternehmen gefunden wird, das genau diese Flächen nutzen kann", sagt Thum, der sowohl Bürgermeister als auch Berufssoldat in Rheine war. Investoren liefen einem die Türen schließlich nicht ein und über das Land verteilt gäbe es viele vergleichbare freie Kapazitäten. "Für eine Mittelstadt wie Rheine ist das eine Katastrophe und alleine nicht zu verkraften."
Vor allem aus wirtschaftlicher Sicht hält der Oberstleutnant a. D. die Entscheidung gegen Rheine für falsch. Erst in den vergangenen Jahren seien 50 Millionen Euro in den Bau einer neuen Halle und die Modernisierung der Infrastruktur investiert worden. Vor allem junge Soldaten hätten dadurch an die mittelfristige Zukunft des Standortes geglaubt und sich mit ihren Familien in Rheine niedergelassen. "Das tut einfach weh", sagt Thum.
Dass die Reform bei den Betroffenen mies ankommt, zeigt eine aktuelle Studie der Universität Chemnitz im Auftrag des Bundeswehrverbandes. Demnach bewerten nicht einmal acht Prozent die Neuausrichtung als "gut" oder "sehr gut". 74 Prozent der Befragten gaben an, sie würden ihren Kindern den Dienst in den Streitkräften nicht empfehlen.
Diese große Unzufriedenheit musste auch Kommandeur Markus Doerenkamp in den vergangenen Wochen tagtäglich erleben. "Von der Grundtendenz ist die Stimmung schlecht", sagt er. Seine Soldaten seien Stolz auf das Regiment gewesen und könnten die Entscheidung des Ministeriums nicht mittragen. Obendrein lebten viele Soldaten noch mit der Ungewissheit, wo sie in den kommenden Monaten stationiert werden. Rheines Zukunft sieht der Kommandeur alles andere als rosig: "Das hier war mal eine blühende Landschaft und man arbeitet daran, das Stück für Stück abzubauen."