Angst vor dem Abzug in Augustdorf
Folgen der Bundeswehrreform für NRW
Stand: 25.10.2011, 07:00 Uhr
Verteidigungsminister de Maizière spricht am Mittwoch (26.10.2011) über die geplanten Schließungen von Bundeswehrstandorten in Deutschland. Auch NRW-Stützpunkte sind möglicherweise betroffen. Zum Beispiel Augustdorf - ein kleines Dorf mit großer Kaserne im Landkreis Lippe.
Von Katrin Heine
Die Augustdorfer, so scheint es, essen gerne Pizza und Pommes. Alleine im Ortskern der kleinen Gemeinde im Landkreis Lippe werben zwei Pizzerien, ein Dönerladen und eine Imbissbude um Kunden und können sich über mangelnden Zuspruch nicht beklagen. "Unglaublich, wie viele Pizzakartons da jeden Abend raus getragen werden", sagt Einzelhändler Gerhard Krumbach. Doch die meisten Pizzafans sind gar keine Augustdorfer Bürger, sondern Soldaten, die hier in der Generalfeldmarschall-Rommel-Kaserne, einem der größten Bundeswehrstandorte in Deutschland, stationiert sind.
Frikadellen gehen besonders gut
In Krumbachs Supermarkt kaufen viele Soldaten
Genau wie die Schnellrestaurants profitiert auch Krumbach von den rund 4.000 Soldaten. Ihm gehört einer der Supermärkte im Ort. Würde die Bundeswehr ihren Standort hier verkleinern oder gar auflösen, wäre das für das kleine Augustdorf im Kreis Lippe ein schwerer Schlag. Viele der rund 9.000 Bürger sind beruflich mit der Bundeswehr verbunden, und nicht nur die Einzelhändler schauen mit bangem Blick nach Berlin, wo Verteidigungsminister de Maizière die Standortschließungen bekannt gibt. "Als Anfang des Jahres gut 1.000 von unseren Soldaten in Afghanistan waren, haben wir das sofort beim Umsatz gemerkt", sagt Krumbach. Sollten alle Soldaten abziehen, sieht er eine düstere Zukunft für Augustdorf: "Ich will nicht sagen, Augustdorf würde aussterben, aber so ähnlich wäre es wohl." Besonders gebratene Frikadellen, panierte Schnitzel und Tütensuppen verkaufen sich bei Krumbach überdurchschnittlich gut: "Alles, was man sich auch in einer kleinen Küche schnell warm machen kann."
Steuergelder wären bei Abzug in den Sand gesetzt
Augustdorfs Bürgermeister Andreas Wulf (CDU) weiß ebenfalls, dass der Abzug der Augustdorfer Soldaten für die Gemeinde verheerend wäre, gibt sich aber optimistisch: "Ich bin voller Hoffnung, dass der Standort erhalten bleibt." Er habe bereits mehrmals an den Bundesverteidigungsminister geschrieben und Thomas de Maizière erklärt, wie verbunden sich Augustdorf mit der Bundeswehr vor Ort fühle. "Die Nähe zum Truppenübungsplatz in der Senne ist ein sehr gutes Argument für unseren Bundeswehrstandort", erklärt Wulf. Außerdem würden seit einigen Jahren die Gebäude auf dem Kasernengelände umfangreich saniert: "Wenn die Bundeswehr hier abzieht, wären Millionen von Steuergeldern in den Sand gesetzt."
Reizthema: Nationalpark
Nationalpark oder Truppenübungsplatz? Die Zukunft ist ungewiss
Doch gerade im Bezug auf den nahen Truppenübungsplatz Sennelager, den die Bundeswehr sich mit den Britischen Streitkräften teilt, hat Wulf ein Problem. Denn die rot-grüne Landesregierung möchte in dem Gebiet einen Nationalpark einrichten. Das Projekt wird in der Region derzeit heftig diskutiert. Und auch wenn eine parallele Nutzung von Nationalpark und Militär angedacht ist, wäre das in der Praxis fast unmöglich, glaubt Wulf. Er lehnt den Nationalpark ab und fordert statt dessen im Falle einer Schließung ein Biosphärenreservat mit weniger strengen Auflagen. Wulf rechnet nicht damit, dass das Geld, das der Tourismus bringen soll, annähernd an die Summen heranreicht, die das Militär in die Gemeindekasse spült. Und das, obwohl die Bundeswehr rund 60 Prozent der Gemeindefläche nutzt und dafür keine Grundsteuer zahlt. "Die Bundeswehr hat viele Bereiche wie Bekleidung, Fuhrpark oder Werkstätten privatisiert. Die Gewerbesteuer dieser Unternehmen wiegt die fehlende Grundsteuer deutlich auf." 250 zivile Mitarbeiter arbeiten zusätzlich beim Bundeswehr-Dienstleistungszentrum, das auch der größte Ausbildungsbetrieb im Ort ist.
"Die Leute sind besorgt"
Die Rehms hoffen, dass die Soldaten bleiben
"Die Soldaten bewachen die Weihnachtsmarktbuden im Winter und spenden für Bürgerinitiativen und Kindergärten," erzählt Susanne Rehm, die mit ihrem Mann ein Malergeschäft im Dorf besitzt. "Viele ehemalige Soldaten haben sich mit ihren Familien hier niedergelassen", sagt Rehm und berichtet von besorgten Kunden, die beim Farbenkauf die Bundeswehrreform diskutieren. Abgesehen von drohenden wirtschaftlichen Folgen stellt sich für die Augustdorfer die Frage: Was soll eigentlich aus den ganzen Gebäuden werden? Würden die Soldaten abziehen, stünden riesige Blöcke auf dem Kasernengelände leer. Sollen sie als Gefängnis genutzt werden? Als Heilanstalt? "Die Leute sind besorgt", sagt Malermeister Olaf Rehm. Im Rathaus gibt es bislang offiziell keine Pläne für eine potenziellen Nachnutzung.
Uniformen gehören zum Dorfbild
Willkommensgruß am Rathausbalkon
Vor fast 55 Jahren, im Jahr 1957, kam die Bundeswehr nach Augustdorf am Rande des Teutoburger Waldes. Drei Viertel der Gemeinderatsmitglieder sind heute beruflich mit ihr verbunden, und am kleinen Rathausbalkon hängt ein großes Plakat für alle Afghanistan-Heimkehrer: "Augustdorf begrüßt seine rückkehrenden Soldaten von ihrem Einsatz."
"Wenn die Bundeswehr ihre Kaserne bei uns schließt, wird das schwierig für uns", findet auch Gemeinderatsmitglied und Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Melanie Rauh. Wie sehr die Soldaten in Augustdorf zur Dorfgemeinschaft dazu gehören, merkt sie immer dann, wenn Ortsfremde zu Besuch kommen. „Sie finden es komisch, dass so viele uniformierte Soldaten im Dorf unterwegs sind. Mir als gebürtiger Augustdorferin fällt das gar nicht auf. Die gehören einfach dazu.“ Sollten die Soldaten abziehen, setzen Melanie Rauh und ihre Partei auf den Nationalpark. Ob die erhofften Touristen genau so gerne und viel Pizza essen wie die Soldaten, bleibt abzuwarten.