Freiwilliger Wehrdienst als Weiterbildung
Plan B wie Bundeswehr
Stand: 14.01.2012, 02:00 Uhr
Statt Abenteuer suchen sie berufliche Perspektiven: Die freiwilligen Soldaten nutzen seit dem Aussetzen der Wehrpflicht ihre Zeit in der Ahlener Westfalen-Kaserne, um sich auf das Arbeitsleben außerhalb der Armee vorzubereiten.
Von Lis Kannenberg
Der Staub Afghanistans, wo aktuell knapp 5.000 deutsche Soldaten stationiert sind, ist weit entfernt von den langen, grauen Fluren der Kaserne mitten im Münsterland. Beim Sanitätsregiment 22 scheint der Krieg weit weg: gemächlicher Kasernen-Alltag zum Vorzeigen. Aber auch in Ahlen tragen die Soldaten grün-braunes Tarnmuster. Seit drei Monaten ist Daniel Debus einer von ihnen. Der Freiwillige hat seine Grundausbildung hinter sich und lernt nun alles rund um den Einsatz des "Krankenkraftwagens", eines Lkw zum Transport von Verwundeten. "Nach meinem Fachabi im Sommer wusste ich nicht, was ich beruflich machen will. Und weil mir ein Freund, der noch eingezogen wurde, von seinen guten Erfahrungen erzählt hat, bin ich jetzt hier", sagt der 21-Jährige aus Gladbeck.
Sichere Bezahlung und Gemeinschaftsgefühl
Bundeswehrsoldat Daniel Debus im Zimmer
Und auch die finanzielle Seite stimmt: Der monatliche Sold liegt zwischen 780 und 1.100 Euro netto, bei freier Verpflegung und Unterkunft. Zum Vergleich: Im Bundesfreiwilligendienst liegt die Obergrenze bei 330 Euro Taschengeld. Sehnsucht nach Ordnung und Disziplin habe ihn nicht zum Wehrdienst gebracht, sagt Debus: "Das ist okay, das kenne ich von zu Hause. Aber das Gemeinschaftsgefühl, das ist hier schon wichtig." Aktuell teilt er sich seine Stube - ein kleines, spartanisch eingerichtetes Zimmer, in dem mehrere Stockbetten stehen - mit zwei anderen Rekruten.
Auslandseinsätze sind möglich
Dass ihn seine geplanten 22 Monate bei der Bundeswehr auch in Krisenregion wie den Hindukusch führen können, sieht der junge Mann demonstrativ gelassen. "Wenn man mich ins Ausland schickt, dann gehe ich da natürlich auch hin." Die Zahl von bislang 52 gefallenen und mehreren hundert verletzten Bundeswehr-Soldaten allein im Afghanistan-Einsatz scheint kein starkes Argument gegen den Dienst zu sein. "Aus meiner Familie und meinem Freundeskreis hat keiner versucht, mir das hier auszureden."
Wehrdienst als Chance in der Wirtschaftskrise
Bundeswehrsoldat Christoph Püngel am Schreibtisch
Abseits aller Kameradschafts-Klischees hat sich die Bundeswehr als bundesweites Netzwerk für Aus- und Weiterbildung etabliert, in eigenen Stellenbörsen suchen Soldaten für die Zeit nach dem Dienst zivile Jobs, Unternehmen können dort passend qualifizierte Fachkräfte finden. Für Christoph Püngel war der Wehrdienst ein "Plan B". Er war einer der letzten jungen Männer, die vor der Aussetzung der Wehrpflicht durch den damaligen Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) noch zum Bund mussten. Als der Lüner nach seiner Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann nicht übernommen wurde, kam die Einberufung zum Oktober 2010 genau richtig: "Wegen der Wirtschaftskrise war der Wehrdienst die Chance für mich, Erfahrungen zu sammeln und mich weiterzubilden." Wenn seine freiwillig verlängerte Zeit in der Personalabteilung des Ahlener Regiments im Sommer endet, folgt ein BWL-Studium an der Fachhochschule in Dortmund.
Fortbildungen nach Maß
Oberleutnant Ralf Schaefer
Für Ralf Schaefer, Oberleutnant im Stab des Sanitätsregiments, sind Debus und Püngel Vorzeigebeispiele für ein neues Selbstverständnis innerhalb der Bundeswehr. "Früher mussten wir die Wehrpflichtigen stärker motivieren, ihnen die Vorteile des Dienstes aufzeigen. Heute kommen Freiwillige, die wissen, was sie geboten bekommen und was sie hier fürs Leben mitnehmen können." Keine andere Armee leiste sich zum Beispiel ein derart vielfältiges internes Weiterbildungssystem.
Und tatsächlich liest sich das Fortbildungsangebot der Bundeswehr wie das Programm einer großen Volkshochschule: Der Berufsförderungsdienst organisiert vom Wochenendseminar bis zur vollständigen Ausbildung zum Berufskraftfahrer mit 350 Unterrichtseinheiten alles, was den Soldaten nutzen könnte. Die Palette reicht vom Rhetorikkurs über Schweißtechnik und den Staplerfahrerschein bis zum Seminar Existenzgründung. Der 23 Jahre alte Hauptgefreite Püngel hat eben erst einen dreiwöchigen Computerkurs absolviert. Und auch der Freiwillige Debus kann sich während seiner Dienstzeit weiterbilden. In welche Richtung es gehen soll, weiß er noch nicht: "Ich hatte auch keinen speziellen Wunsch, wohin ich innerhalb der Truppe wollte. Bloß nicht zur Marine und bitte an einen Standort in NRW."
Großer Bedarf bei kämpfenden Einheiten
Dieser Wunsch sei nicht schwer zu erfüllen gewesen, sagt Oberleutnant Schaefer. Allerdings gelte bei der Verteilung der Freiwilligen grundsätzlich: "Der Bedarf der kämpfenden Einheiten ist relativ groß. Wenn der erfüllt ist, sind andere Bereiche wie wir als Sanitätsregiment dran." Es melden sich also offenbar ausreichend junge Menschen für den freiwilligen Wehrdienst. Dabei machte das Bundesverteidigungsministerium Ende Dezember eine Abbrecherquote von fast 28 Prozent öffentlich. Diese Freiwilligen haben die Bundeswehr innerhalb der ersten sechs Monate wieder verlassen, die meisten laut Ministerium für andere Berufschancen wie etwa einen Studienplatz.
Dass sich Freiwillige bei ihrer Bewerbung womöglich eher in Prestige-Positionen wie Jet-Pilot gesehen haben und dann aus Enttäuschung über die graue Realität wieder gegangen sind, mag Daniel Debus nicht glauben. "Als Brillenträger war mir schon vorher klar, dass ich kein Pilot werde." - "Die meisten Abbrecher unter den Freiwilligen haben uns bereits nach ein, zwei Tagen wieder verlassen, als klar war, dass sie die Grundkriterien der Wehrtauglichkeitsprüfung nicht erfüllen", fügt Oberleutnant Schaefer hinzu. Eben weil nicht klar ist, ob das Büro in Ahlen oder das Zelt in Kundus einmal Dienstort der neuen Soldaten sein wird, müssen sie für alle Einsätze geeignet wirken.