Hitlers Sieg in Lippe
Landtagswahl ebnet Weg zur "Machtergreifung"
Stand: 15.01.2008, 06:00 Uhr
Gleich 17 Mal tritt Adolf Hitler im Januar 1933 im Freistaat Lippe auf. Der Wahlsieg dort ebnet der NSDAP den Weg zur Macht in Deutschland. Waren die Lipper vor 75 Jahren die Steigbügelhalter der Nazis?
Von Gregor Taxacher
Seit dem 6. November 1932 hatten Hitler und die NSDAP ein massives Problem: Bei der Reichstagswahl verloren sie zwei Millionen Wähler. Der Stimmen-Anteil der Partei sank von 37,4 auf 33,1 Prozent. Der Nimbus der Unbesiegbarkeit der Nationalsozialisten, die unaufhaltsame "braune Flut", schien gebrochen, Hitlers Aussicht auf das Amt des Reichskanzlers in weite Ferne gerückt. In dieser Situation beschloss die Partei, die Landtagswahl im kleinen Staat Lippe zur Wende zu stilisieren, zur deutschen Entscheidung oder - wie die Nazis sagten - zum "Durchbruchswahlkampf".
Eintrittsgeld und Straßenterror
In Detmold-Lippe lebten gerade einmal 173.000 Einwohner. "Die Wahl wäre unter anderen Umständen völlig unbedeutend gewesen", sagt Andreas Ruppert, Historiker im Stadtarchiv Detmold. "Es war ein historischer Zufall, dass die Wahl am 15. Januar 1933 die nächste war, die Hitler noch retten konnte." So bekamen die Lipper Wähler eine Rolle, die ihr tatsächliches politisches Gewicht völlig überstieg. Der Landtagswahlkampf in Lippe ging dadurch in die Geschichte ein. So heißt es in Ian Kershaws großer Hitlerbiografie (1998): "Alle NS-Größen wurden ins Rennen geschickt. Als Redner traten Göring, Goebbels, Frick und Prinz August Wilhelm auf. Hitler selbst hielt 17 Reden in elf Tagen." Für die Hitler-Auftritte nahm die Partei sogar Eintritt. SA- und SS-Truppen aus Norddeutschland und dem Ruhrgebiet brachten ein bisher unbekanntes Phänomen in die ländliche Gegend: Gewalt gegen politische Gegner, und das ganz öffentlich. "Der Terror hat Hitlers Partei damals nicht geschadet", sagt Andreas Ruppert. Denn am 15. Januar wurde die NSDAP mit 39,5 Prozent der Stimmen stärkste Partei in Lippe.
"Macht frei das Hermannsland"
Hitler und der westfälische NS-Funktionär Peter Stangier
Nach Andreas Rupperts Einschätzung war die Bevölkerung an der Lippe nicht mehr, aber auch nicht weniger "braun" als in anderen Regionen Deutschlands. Die Wahl belege den damaligen Trend der bürgerlichen Mitte nach rechts. Tatsächlich war Hitlers Sieg auch 1933 nicht unangefochten: Die SPD, deren beliebter Spitzenkandidat Heinrich Drake hier seit 1920 regierte, gewann sogar 4.000 Stimmen hinzu, verlor aber erstmals seit 1919 ihre Position als stärkste Partei.
Um das zu erreichen, machten sich die Nazis geschickt regionale Mythen zunutze. "Es gab seit Ende des 19. Jahrhunderts antisemitische und rechtsradikale Gruppen in Detmold-Lippe, klein, aber recht einflussreich", sagt Andreas Ruppert. "Sie schwärmten von der Region als germanischem Kernland. Wilhelm Teudt etwa erklärte die Externsteine zur germanischen Kultstätte." Die Theorie ist bis heute historisch unbewiesen und doch weit verbreitet. Hitler ernannte Teudt später zum Professor, Heinrich Himmler nahm die Externsteine für die SS in Besitz. Im Wahlkampf knüpfte die NSDAP auch an eine andere historische Überlieferung der Region an: die Schlacht im Teutoburger Wald. Ein Wahlplakat zeigte das Hermannsdenkmal vor dem Hakenkreuz als aufgehender Sonne mit dem Spruch: "Macht frei das Hermannsland!"
Gedenktag bis 1945
Der Wahlsieg in Lippe ebnete Hitler nur indirekt den Weg in die Reichskanzlei. Entscheidend war, dass Kanzler Kurt von Schleicher im Reichstag keine parlamentarische Mehrheit für seine Regierung fand. Die NS-Propaganda schlachtete ihren regionalen Erfolg aus und konnte so mehr Druck erzeugen. Schleicher geriet in die politische Isolation und trat schließlich zurück. Am 30. Januar 1933, zwei Wochen nach der Landtagswahl, ernannte Reichspräsident Paul von Hindenburg Hitler zum Reichskanzler, ein formal legaler Akt, den die Nazis als "Machtergreifung" feierten. Das Schicksal der Weimarer Demokratie war besiegelt.
In Lippe wollten die Parteifunktionäre aus der Rolle ihres Landes politisches Kapital schlagen. Sie feierten den 15. Januar fortan als Gedenktag mit dem Anspruch, die Lipper Wahl habe Hitler an die Macht gebracht. Für den Diktator war die Wahl in Lippe anschließend jedoch eine Episode. Er besuchte die Region nur noch ein einziges Mal. "Diese Gedenkfeier wurde aber bis 1945 durchgeführt, als gäbe es Krieg und Zusammenbruch nicht", sagt Andreas Ruppert. Nach Kriegsende wurde der einstige Ruhm zur Belastung - und möglichst vergessen.