Nahezu vollzählig sind die deutschen Fernseh-Zuschauer an einem Augustabend 1967 vor ihren Apparaten versammelt. Zum Start ins Farb-Zeitalter flimmert live der "Gala-Abend der Schallplatte" in die Wohnzimmer. Dann betritt der Stargast aus den USA, die legendäre "Königin des Gospel", die Bühne der Berliner Kongresshalle. Als Mahalia Jackson ihre dunkle Altstimme erhebt und mit schwungvollen Gesten ihres fülligen Körpers den Rhythmus verstärkt, hat sie nach wenigen Takten das Publikum im Saal und in den Wohnzimmern in ihren Bann geschlagen.
Mit ihrer Stimmgewalt die Menschen mitzureißen, in eine singende Gemeinde zu verwandeln, darin sieht Mahalia Jackson die Mission ihres Lebens. Sie will keine Glitter-Show liefern; ihre Songs sollen die Botschaft des Evangeliums in die Welt tragen. Doch an jenem Abend in Berlin steht die charismatische Sängerin ihren Auftritt nur noch mit letzter Kraft durch. Eine geplante Europa-Tournee muss der schwer kranke schwarze Weltstar absagen.
Papstaudienz für die singende Missionarin
In einer schäbigen Hütte am Rande von New Orleans, zwischen Bahngleisen und dem Mississippi, wird Mahalia Jackson am 26. Oktober 1911 geboren. Ihr Vater, ein Sklaven-Nachfahre, predigt in einer Baptistengemeinde. Schon dort fällt die besondere Klangfarbe von Mahalias Stimme auf. Mit 16 Jahren zieht sie nach Chicago und gründet eine kleine Gospelgruppe. Deren mitreißende Auftritte, geprägt von Mahalias dynamischem Groove, sprechen sich herum, doch finanziell muss sie sich lange als Wäscherin und Friseurin über Wasser halten. Erst 1947 gelingt ihr mit der Aufnahme von "I’ll move on up a little higher" der musikalische Durchbruch.
Bandleader wie Duke Ellington und Louis Armstrong reißen sich nun um Mahalia Jackson. Doch sie lehnt ab, will keinen reinen Blues oder Jazz singen, sondern mit ihren Liedern die Botschaft Jesu in die Welt tragen. Trotzdem elektrisiert sie mit ihrer vibrierenden Authentizität gleichermaßen die Zuhörer in Kirchen wie beim legendären Newport Jazz-Festival oder in Nightclubs. Auf langen Tourneen rund um den Globus erarbeitet sich Mahalia Jackson einen treuen Verehrerkreis. In ihrer Heimat USA dagegen bleibt sie auch als Weltstar, der von Papst Johannes XXIII. in Privataudienz empfangen wird, von den Schattenseiten der Rassendiskriminierung nicht verschont.
„Könnte ich doch reden, wie diese Frau singt“
Weiße Fanatiker beschießen ihr Haus in Chicago, in Südstaaten-Fernsehshows darf "die Negerin" nicht auftreten. Doch Mahalia Jackson lässt sich nicht einschüchtern. 1963 steht sie zum Abschluss des historischen Bürgerrechts-Marschs in Washington neben Martin Luther King. Nach dessen "I have a dream"- Rede singt sie vor 200.000 Menschen "How I got over". "Ach könnte ich doch reden, wie diese Frau singt", seufzt danach ihr enger Freund Luther King. In den folgenden Jahren setzt ihr allerdings ihre angegriffene Gesundheit immer häufiger zu. Mahalia Jackson erleidet mehrere Schwächeanfälle und Herzinfarkte.
So sind ihre deutschen Fans hoch erfreut, als die Gospel-Queen 1971, vier Jahre nach dem denkwürdigen Berliner Gala-Auftritt, noch einmal in die Bundesrepublik zurückkehrt. Wieder singt sie in Berlin - abgemagert, geschwächt, um Jahre gealtert, doch mit noch immer ungebrochener Willenskraft. Und wieder muss sie nach diesem Konzert alle Termine absagen. Es ist ihr letztes Comeback. Wenige Monate später, am 27. Januar 1972, stirbt Mahalia Jackson mit nur 60 Jahren in Chicago. Ihre Grabrede hält Coretta King, die Witwe des ermordeten Bürgerrechtlers.
Stand: 26.10.2011
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