Stichtag

27. Juli 1615 – Lamoral von Taxis wird Generalpostmeister

Wenn Friedrich von Schiller wissen will, ob Goethe ins Theater geht, dann schreibt er dem anderen Dichterfürsten einen Brief. "In der Komödie sehe ich Sie heute wohl", heißt es dann in dem Schriftstück, das ein Bote postwendend überbringt. Wenn die Banalität der Worte des ein oder anderen Genies unwürdig scheint, werden kurzerhand Köstlichkeiten beigelegt.

"Verzeihen Sie der abermaligen Unfruchtbarkeit dieses Briefes, der ich durch eine Portion Rüben nachzuhelfen versuche", schreibt dann Goethe. Und Schiller dankt recht "schön": auch im Namen seiner Frau, "der nicht ganz wohl war".

Brüssel-Innsbruck in fünf Tagen

Die Zeugnisse der wohl größten deutschsprachigen Brieffreundschaft des 18. Jahrhunderts verdanken wir der Familie von Taxis – genauer: der "durchgreifenden Schnelligkeit der Taxis'schen Posten, der Sicherheit des Siegels, dem leidlichen Porto" ihres Postverkehrs, von dem auch Goethe schwärmt. Ihr Stern geht auf im 15. Jahrhundert, an der Schwelle von Mittelalter zu Neuzeit, als die Welt zusammenwächst und schnellere Wege der Kommunikation als bisher nötig hat.

1490 erlässt Kaiser Maximilian I. den Befehl, sein Herrschaftsgebiet von Österreich bis zu den Niederlanden und von Frankreich bis nach Rom mit einem auf Reitern basierenden Botensystem zu durchziehen; zuvor mussten Universitäten, Klöster oder reiche Privatmänner sich selbst um Boten kümmern. Den Zuschlag für die Ausführung erhält die norditalienische Familie Tasso (deutsch: "Dachs"), die sich auch Tassus, Taxius oder Täxis nennt und ihren Mangel an Landbesitz durch Geschäftssinn kompensiert. Vertraglich verpflichtet sich ein Franz von Taxis, einen Brief etwa von Brüssel nach Innsbruck innerhalb von fünf Tagen zuzustellen.

Revolution im Wirtschaftswesen

Um ihr Unternehmen zu finanzieren, entwickeln die von Taxis ein Franchise-System, bei dem sie die wohlhabenden Besitzer von Gasthöfen entlang der Routen zu Posthaltern oder Postmeistern ernennen. Die Wirte stellen die Pferde und das Personal - und erhalten im Gegenzug einen Teil des von ihren Auftraggebern erhobenen Portos. Fortan können Händler in Nürnberg brieflich Waren in Amsterdam ordern, statt selbst dorthin zu reisen: für das Wirtschaftssystem ein ungeheurer Fortschritt. Koordiniert wird das System innerhalb des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nationen vom Reichsgeneralpostmeister, der damit eine enorme politische Position innehat.

Durch die Jahrhunderte bleibt der Reichsgeneralpostmeister ein Mitglied der Familie von Taxis – auch wenn das Amt zunächst immer nur auf Zeit vergeben wird. Das ändert sich am 27. Juli 1615, als Lamoral von Taxis Generalpostmeister wird. Er überredet den Kaiser, die Stellung über die männliche Linie der Familie erblich zu machen. Später geht das Privilleg als "Weiberlehen" auch auf die weiblichen Mitglieder über.

Dachs und Turm

Die Familie von Taxis wird durch diesen Schachzug des Lamoral von Taxis unermesslich reich. Schon bald reklamiert sie für sich, vom uralten italienischen Adelsgeschlecht "della Torre" (deutsch: "vom Turm") abzustammen – und nennt sich fortan "Thurn und Taxis". Im Gegenzug baut sie ein immer dichteres Netz aus Pferde- und Kutschenposten aus. Als sie im 19. Jahrhundert ihr Postmonopol verliert, wird sie mehr als üppig entschädigt.

Stand: 27.07.2015

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