Uhr von Greenwich

Stichtag

5. März 1854 - Geburtstag von Ruth Belville

Für Ruth Belville ist Zeit Geld. Deshalb fährt sie jeden Dienstagmorgen mit ihrer "Arnold" genannten Taschenuhr mit Zug und U-Bahn vom kleinen Ort Maidenhead bei London nach Greenwich.

In Greenwich steigt Belville den Hügel zum Königlichen Observatorium hinauf, holt "Arnold" aus der Handtasche und klopft ans Tor. Dann öffnen ihr die Astronomen die Pforte, und Beville trinkt eine Tasse Tee, während Techniker ihre Uhr mit dem nach den Sternen gestellten Chronometer von Greenwich abgleichen.

Die so gewonnene exakte Uhrzeit verkauft Belville dann später in London an Händler, Uhrmacher, Juweliere und Millionäre weiter. In Zeiten ungenauer Uhren schmückt man sich dort nur allzu gern mit Autorität vermittelnder Präzision.

200 Kunden brauchen die genaue Uhrzeit

Geboren wird Belville am 5. März 1854 in Greenwich. Ihr Vater John Belville ist erster Assistent der Hofastronomen, die am Nullmeridian nicht zuletzt die für die christliche Seefahrt notwendige genaue Uhrzeit ermitteln. Jeden Tag um Punkt 13:00 Uhr fällt im Observatorium eine große und außen deutlich sichtbare "Zeitkugel" nach unten, mit deren Hilfe dort gerade vorbeifahrende Schiffe ihre Bord-Uhren synchronisieren, um damit später auf hoher See den Längengrad ermitteln zu können.

Auch die berühmten Uhrmacher Londons haben damals nur eine Möglichkeit, die genaue Uhrzeit zu ermitteln: Sie müssen jemanden nach Greenwich schicken, der an der Pforte des Observatoriums klopft. Das wird den Astronomen auf die Dauer lästig. Gemeinsam mit John Belville verfallen sie auf die Idee, einen Boten zu den Urmachern zu schicken. John Belville ersteht eine große, alte, aber höchst genaue Taschenuhr: "Arnold". 1836 startet er seinen Service – für immerhin 200 Kunden.

Die "Greenwich Time Lady"

Als John Belville 1856 stirbt, steht seine Witwe vor dem Nichts. In ihrer Not beantragt sie, einmal pro Woche Zugang zum Observatorium zu erhalten, um die Dienstleistung ihres Mannes fortzuführen. Da ist Ruth Belville zwei Jahre alt. Von Kindesbeinen an begleitet sie ihre Mutter bei ihren Zeitverkäufen. Selbst als der elektrische Telegraph ihr Konkurrenz macht und Big Ben mit Greenwich synchronisiert wird, bleibt ihr ein treuer Abonnentenstamm.

Ruth selbst übernimmt das Zeitgeschäft 1892. 15 Jahre später hat sie immerhin noch 60 Kunden, die ihr jeweils fünf Pfund im Jahr bezahlen – sehr zum Ärger der "Standard Time Company", die mit der technischen Synchronisierung von Uhren Geld verdienen will. Die Firma startet eine Schmutzkampagne gegen Belville, der unterstellt wird, nur wegen ihrer weiblichen Reize Zugang zum Observatorium in Greenwich zu bekommen. Aber die Kampagne geht nach hinten los: Die Hofastronomen stellen sich hinter die populäre "Greenwich Time Lady" – und diese gewinnt durch die Medienaufmerksamkeit noch Kunden hinzu.

Selbst als die BBC 1924 ihr Zeitsignal einführt, hält die Kundschaft Ruth und Arnold die Treue. Erst 1940 tritt die Zeitverkäuferin in den Ruhestand: mit 85 Jahren und nach fast einem halben Jahrhundert im Einsatz. Drei Jahre später ist ihre eigene Zeit abgelaufen. Sie stirbt 1943 in London.

Stand: 05.03.2014

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