Wer als Tourist aus London zurückkehrt, der hat höchstwahrscheinlich drei Motive in seiner Fotosammlung: den Buckingham Palast, die Tower Bridge und Big Ben. Genau genommen ist das nicht ganz richtig, denn den wirklichen Big Ben dürften selbst die meisten Londoner noch nicht zu Gesicht bekommen haben. Eigentlich bezeichnet der Name nämlich nicht den weltberühmten Uhrturm am Palace of Westminster, dem britischen Parlamentsgebäude, sondern "the Great Bell", die schwerste der fünf Glocken in dem 96 Meter hohen Turm. Seit ihrem ersten Erklingen am 31. Mai 1859 zeigt sie nicht nur den Londonern, sondern Radiohörern in aller Welt an, was die Stunde geschlagen hat. In jeder Silvesternacht sowie täglich pünktlich zu Beginn der 18-Uhr-Nachrichten überträgt die BBC live (!) das Glockenspiel von Westminster mit dem Schlag von Big Ben.
Seit 1923 hält Englands Rundfunk an dieser Tradition fest. Nur während des Zweiten Weltkriegs sendete die BBC die Schläge der 13,5 Tonnen schweren Glocke als Aufzeichnung vom Band. Man fürchtete, die Nazis könnten aus Big Bens Klang Rückschlüsse auf das Wetter in London ziehen. Über die Herkunft des Namens für das Nationalsymbol herrscht bis heute keine rechte Einigkeit. Während die einen Sir Benjamin Hall, dem beleibten Staatsbaumeister zur Zeit der Glockeninstallation, die Patenschaft zuerkennen, halten andere den damals sehr populären Schwergewichts-Preisboxer Benjamin Caunt für den wahren Namensgeber. Eine geglückte Premiere garantierte aber keiner von beiden. Zwei Monate nach dem ersten Glockenschlag bekam Big Ben einen dicken Riss und blieb bis 1863 erst einmal wieder stumm.
Vier hauptamtliche "Keeper of the Great Clock" (Hüter der Großen Uhr) sorgen dafür, dass die berühmteste öffentliche Uhr der Welt innerhalb eines Tages nicht mehr als eine Sekunde von der exakten Zeit abweicht - und zwar auf sehr traditionelle Weise: Die Schwingungsdauer des 299 Kilogramm schweren Pendels wird mit alten Penny-Stücken austariert. "Ein Penny bringt uns eine halbe Sekunde in 24 Stunden", erklärt Big-Ben-Keeper Roy Mc Neal. Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass auch der tönende Stolz Britanniens hin und wieder zwangsweise verstummt - in den vergangenen 150 Jahren genau fünf Mal. Mal ließen sich Vogelschwärme auf den meterlangen Zeigern nieder, mal irritierten eisige Temperaturen und extreme Hitzegrade die diffizile Mechanik, mal war auch nur ein simples Zahnrad defekt. Zuletzt musste das Vereinigte Königreich 2007 für sieben Wochen auf das Glockenspiel vom Westminster-Uhrturm verzichten, allerdings mit Ankündigung: Der in die Jahre gekommene Big Ben wurde fit gemacht für die anstehende 150-Jahr-Feier.
Stand: 31.05.09