DDR-Kleinroller KR 51 "Schwalbe" geht in Serie (im Januar 1964)

Stichtag

2. Januar 1964 – DDR-Kleinroller "Schwalbe" geht in Serie

In der griechischen Mythologie verkörpert die Windsbraut den Sturmwind, in der Deutschen Demokratischen Republik fährt sie auf dem Motorroller. "Windsbräute, es geht um Euch, um Euren Spaß am Tempo, Temperament und neuer Technik", heißt es in einer zeitgenössischen Werbung der DDR. Und: "Zu einem anregenden Flirt mit dem Wind gehört ein zuverlässiges Fahrzeug. Ein rasantes Ding. Treu und anspruchslos. Topfit in jeder Situation: Der Simson Kleinroller Schwalbe."

Diejenige Windsbraut aber, die sich eine "Schwalbe" zulegt, wird spätestens durch die Gebrauchsanweisung des Kleinrollers wieder auf den Boden des real existierenden Sozialismus zurückgeholt: "Der moderne Straßenverkehr wird nur dann ordnungsgemäß und reibungslos abgewickelt, wenn sich alle Teilnehmer der Wichtigkeit und Bedeutung des Verkehrs im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben bewusst sind und sich diesem Bewusstsein entsprechend verhalten", nimmt sie dem rasanten Versprechen der Reklame den Wind wieder aus den Segeln.

"Sperber", "Spatz" und "Habicht"

Produziert wird die "Schwalbe" im Volkseigenen Betrieb (VEB) Fahrzeug- und Gerätewerk Simson Suhl, der später in "VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk Ernst Thälmann" umbenannt wird. Das Unternehmen hat eine lange und wechselvolle Geschichte, in der sich ein Stück deutscher Historie widerspiegelt. 1856 wird es von den Brüdern Loeb und Moses Simson im thüringischen Suhl gegründet. Zu dieser Zeit wird hier Stahl für Waffen produziert. Durch die Beschränkungen nach dem Ersten Weltkrieg dürfen hier nur noch Gewehre und Pistolen hergestellt werden; aus dieser Not heraus wird die Produktion auf Kinderwagen, Fahrräder und Automobile umgestellt.

1933 wird das Unternehmen in "Berlin-Suhler Waffen- und Fahrzeugwerke GmbH" umbenannt, um den jüdischen Familiennamen aus der Firmenbezeichnung zu entfernen. 1936 muss die Familie Simson in die USA fliehen; im selben Jahr kommen Motorräder zur Produktpalette hinzu. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird das Unternehmen zum Volkseigenen Betrieb der DDR. Ab 1955 werden hier Motorroller und Mopeds namens "Spatz", "Star", "Sperber" und "Habicht" produziert. Im Januar 1964 geht hier auch der Kleinroller "Schwalbe" in Serie.

Blau und "tundragrau"

Die "KR 51 Schwalbe" ist der erste zweisitzige Motorroller der DDR. Aber nicht nur das: Mit Blink-, Stopp- und Parklicht setzt er ebenso neue Maßstäbe wie mit einem Gleichstrom-Signalhorn und Spritzschutzblechen über dem Vorderrad, die die Anmutung von Flügeln haben. 1.265 DDR-Mark kostet das Fahrzeug, die 2,6 PS beschleunigen den Roller auf bis zu 60 Stundenkilometer. Dafür ist der Verbrauch von 2,7 Litern Sprit auf 100 Kilometern relativ gering. Dafür nehmen DDR-Bürger auch lange Wartezeiten in Kauf.

Am Anfang fehlt der Produktion der "Schwalbe" etwas der Schwung. Selbst das SED-Zentralorgan "Neues Deutschland" vermeldet 1964, dass die VEB-Belegschaft fieberhaft daran arbeite, "die beanstandeten organisatorischen Mängel in der Produktion zu beseitigen". Drei Monate dauert es, bis alle Materialien beisammen sind und die ersten Fahrzeuge im Normalbetrieb vom Band rollen können. Danach allerdings entwickelt sich die "Schwalbe" zum Exportschlager: Schon kurz nach ihrem Debüt auf DDR-Straßen wird der Vogel laut "Neuem Deutschland" in über 50 Länder exportiert. Farben sind blau und "tundragrau".

Erst die Wiedervereinigung stutzt der "Schwalbe" die Flügel. Aber bis heute kann man "Schwalben" über bundesdeutsche Straßen flitzen sehen.

Stand: 02.01.2014

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