Egon Bahr (r) und Michael Kohl beim Austausch der Paraphierungsdokumente nach der Unterzeichnung.

Stichtag

21. Dezember 1972 – Grundlagenvertrag zwischen BRD und DDR unterzeichnet

Willy Brandt (SPD) ist unzufrieden: Von 1957 bis 1966 ist er regierender Bürgermeister im Westteil von Berlin. Von hier aus muss er miterleben, wie die Teilung der Stadt und des Landes durch den Bau der Mauer zementiert wird und wie die Bevölkerung im Osten leidet. Brandt ist der Meinung, dass er auch für die Verbesserung der Lebensumstände im Osten verantwortlich ist: "Ich wäre ein schlechter Repräsentant dieser Stadt, wenn ich nicht die Not meiner Mitbürger hinausriefe in alle Welt und wenn ich nicht bitten würde um jede mögliche Hilfe."

Als Bürgermeister von Berlin ist Brandt schon wegen der Insellage seiner Stadt gezwungen, auch nach Osten in die DDR und die Sowjetunion zu blicken. In der Bundesrepublik richtet sich Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) ganz nach Westen aus. "In der Sowjetzone gibt es keinen freien Willen der deutschen Bevölkerung", lautet sein Standpunkt. Und mit einer Regierung, die keine freien Wahlen zulässt, will Adenauer nicht verhandeln. Die DDR als Staat anzuerkennen kommt für ihn ohnehin nicht in Frage.

Trennung und Gemeinsamkeiten

Brandt sieht das anders. Er will die beiden deutschen Staaten durch Gespräche einander wieder näher bringen. Beraten wird er dabei vom Sprecher des Berliner Senats Egon Bahr (SPD). "Wandel durch Annäherung" lautet das Konzept, das Bahr 1963 präsentiert. Nicht das Trennende soll betont werden: Gemeinsamkeiten will man finden.

1969 wird Brandt Bundeskanzler. Nun ist der Weg von bundesdeutscher Seite aus frei für den Dialog. Davon aber will der Staatsratsvorsitzende der DDR, Walter Ulbricht, zunächst nichts wissen. Er betont lieber den Gegensatz: "Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Nationalstaat. Die westdeutsche Bundesrepublik ist ein kapitalistischer NATO-Staat geworden". Es ist die Sowjetunion, die Ulbricht dazu bringt, seine radikale Ansicht zu lockern. Sie will einen Friedensvertrag mit dem westdeutschen Klassenfeind.

Wiedervereinung bleibt Ziel

1970 unterzeichnet die Bundesrepublik einen Vertrag über Gewaltverzicht mit der Sowjetunion und den Warschauer Vertrag, in dem Westdeutschland und Polen ihre Grenzen anerkennen. Im Viermächteabkommen verpflichtet sich die Sowjetunion 1971 zu einer Verbesserung des Transitverkehrs zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin; zusätzlich sollen die Reisemöglichkeiten innerhalb der geteilten Stadt verbessert werden. Die ersten Schritte für den "Wandel durch Annäherung" sind getan. Nun kann die Regierung der Bundesrepublik direkt mit der DDR verhandeln.

Im August 1972 beginnen die offiziellen Gespräche zwischen Egon Bahr mit Ulbrichts Staatssekretär Michael Kohl. Am 21. Dezember 1972 unterzeichnen beide den "Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik", der ein halbes Jahr später von den Regierungen ratifiziert wird. Von nun an verpflichten sich die Vertragspartner zur Entwicklung gutnachbarlicher Beziehungen und zur Anerkennung der innerdeutschen Grenze, zur Abrüstung und zum Gewaltverzicht. Auch Ständige Vertretungen sollen eingerichtet werden. In einem vor der Unterzeichnung übergebenen Brief hält Bahr allerdings fest, dass der Vertrag "nicht im Widerspruch zu dem politischen Ziel der Bundesrepublik Deutschland steht, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt".

Für die CDU/CSU-Opposition im Deutschen Bundestag ist der Grundlagenvertrag verfassungswidrig: Ihrer Meinung nach gefährdet er die Wiedervereinigung. Aber das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe schmettert eine Klage ab. Tatsächlich entspannt sich in der Folge die Lage zwischen beiden deutschen Staaten – auch wenn die Wiedervereinigung noch rund 18 Jahre auf sich warten lässt.

Stand: 21.12.2012

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