Stichtag
13. Dezember 1972 - Annemarie Renger wird erste Bundestagspräsidentin
"Ich bin ein Stück Sozialdemokratie", sagt Annemarie Renger einmal über sich selbst. Fast 40 Jahre lang, von 1953 bis 1990, sitzt sie im Bundestag. Der Höhepunkt ihrer politischen Karriere ist die Wahl zur Bundestagspräsidentin.
"Da ich eine Frau bin, möchte ich gerne als Frau Präsidentin angeredet werden", kontert Annemarie Renger umgehend, als Ludwig Erhard (CDU) - Alterspräsident des Bundestags und ehemaliger Bundeskanzler - sie als soeben gewählten "Präsidenten des deutschen Bundestags" vorstellt. Es ist ein Umbruch in doppelter Hinsicht. Zum ersten Mal in der Bundesrepublik stellt die SPD nach den vorgezogenen Bundestagswahlen im November 1972 die meisten Abgeordneten im Bundestag. Und mit Annemarie Rengers Wahl am 13. Dezember 1972 steht zum ersten Mal eine Frau an der Spitze des Parlaments.
"Ich bin ein Stück Sozialdemokratie"
"Ich bin ein Stück Sozialdemokratie", sagt Annemarie Renger, geboren 1919 in Leipzig, über sich selbst. Sie wächst in einem sozialdemokratischen Elternhaus auf, ihr Vater ist SPD-Mitglied, Sportfunktionär und ihr großes Vorbild. Als seine Tochter ist sie früh politisch interessiert und lernt viele Abgeordnete kennen. "Ich habe keine Angst und keine Ehrfurcht gehabt vor den großen Tieren. Mit zehn Jahren wollte ich Parteisekretärin werden. So etwas ähnliches bin ich ja dann geworden", erinnert sie sich. Der SPD-Politiker und spätere Partei- und Fraktionsvorsitzende Kurt Schumacher engagiert sie am 1. Oktober 1945 als Privatsekretärin. Sie bleibt bis zu seinem Tod im Jahr 1952 als enge Vertraute und Mitarbeiterin an Schumachers Seite. Ein Jahr später zieht sie selbst für die SPD in den deutschen Bundestag ein; knapp 30 Jahre später wird sie zur Bundestagspräsidentin gewählt.
"Sie hätte auch eine Filmdiva sein können"
Ein Jahr nach ihrer Wahl ist Renger die bekannteste und beliebteste weibliche Politikerin in Deutschland. Einer ihrer vielen Bewunderer, Alfred Biolek, sagt über sie: "Die Frauen, die damals politisch tätig waren, wirkten meist hart und maskulin. Aber sie war immer sehr schick, schön angezogen, gut geschminkt, hatte eine fantastische Figur. Sie hätte auch eine Filmdiva sein können." Auch Klaus Jürgen Haller, WDR-Hörfunkkorrespondent in Bonn, war von Renger beeindruckt. "Sie war geschickt, sie war charmant und resolut, wenn erforderlich. Ihre kernige Stimme hat ihr geholfen. Es konnte passieren, dass sie einem Abgeordneten sagte: 'Machen Sie das Hemd zu!' Und der machte es zu."
Vier Jahre lang leitet Renger die Geschäfte im Deutschen Bundestag, bleibt danach bis zum Jahr 1990 Vizepräsidentin des Hauses. Im März 2008 stirbt Annemarie Renger mit 88 Jahren im rheinischen Oberwinter. Einige Zeit zuvor sagte sie: "Ich kann sagen, das Leben hat mir viel gegeben. Ich habe es immer genossen."
Stand: 13.12.2012
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