"Wie entfernt man eine Tätowierung?" Mit dieser seltsam anmutenden Frage eröffnet ein WDR-Moderator 1994 ein Interview mit dem Schriftsteller und Drehbuchautor Herbert Reinecker. Reinecker begreift nicht sofort, schweigt, um dann zu sagen, dass er das nicht wisse: "Ich glaube, das ist eine sehr schmerzhafte Prozedur."
Dann erst versteht er den Sinn der Frage. Es geht um jenes SS-Blutgruppenzeichen, das sich Reinecker von einer österreichischen Bäuerin nach Kriegsende auf der Flucht vor den Alliierten mit einer Schere hatte entfernen lassen wollen. "Man ist ja durch ein tiefes Loch gegangen", sagt er dann zu seinem Leben als nationalsozialistischer Kriegspropagandist. "Man hat es auszuhalten gehabt bis zur Betäubung".
Der schmerzhaften Prozedur einer Vergangenheitsbewältigung wird sich Reinecker bis zum Schluss nicht stellen. Zeit seines Lebens fühlt er sich als "Verbrechensopfer" einer Zeit, aus der es kein Entrinnen gab.
Mord und Liebe
Reinecker wird 1914 im westfälischen Hagen geboren. Früh fühlt er sich zum Schreiben berufen: Schon mit 15 Jahren muntert er seine Leserschaft in wirtschaftlich schlechten Zeiten mit Liebes- und Unterhaltungsgeschichten auf. Zwei Jahre später veröffentlicht er seine Krimi-Kurzgeschichte "Der Mörder", die wie ein früher Plot zu einer "Derrick"-Folge wirkt.
Dann tritt Reinecker der Hitlerjugend bei und geht mit 22 Jahren als Reichsjugendführer nach Berlin. Er wird Hauptschriftleiter bei Jugendmagazinen wie "Der Pimpf" oder "Junge Welt". Im Zweiten Weltkrieg berichtet er als Kriegsberichterstatter der SS-Panzer-Division Hitlerjugend von der Front in Russland und Pommern, unter anderem für den "Völkischen Beobachter". Für den Durchhaltefilm "Junge Adler" (1944) schreibt er mit Regisseur Alfred Weidemann das Drehbuch.
Nach dem Krieg entzieht sich Reinecker der alliierten Befragung durch ständige Wohnortwechsel. Erst 1957 wird er in Kempfenhausen am Starnberger See endgültig sesshaft werden.
Derrick in Zimbabwe
Da ihn zunächst niemand fest anstellen will, verfasst Reinecker nach 1945 in wenigen Jahren über 1.000 Kurzgeschichten, die er unter Pseudonym bei Zeitungen veröffentlicht. Ende der 40er Jahre trifft er Weidemann wieder, der ihn als Drehbuchschreiber in der Filmbranche etabliert. Insgesamt arbeitet er an weit über 100 Kinoproduktionen mit; darunter sind die Edgar-Wallace-Filme "Der Hexer" (1964) und "Der Mönch mit der Peitsche" (1967) mit Joachim Fuchsberger.
Berühmt aber wird Reinecker mit seinen ZDF-Krimiserien, von denen "Der Kommissar" 1969 das Licht der Welt erblickt. Fünf Jahre später startet mit "Derrick" ein weiterer Verkaufsschlager: der ewige Oberinspektor mit den Augenringen ermittelt vor allem im Milieu der Oberschicht – und macht den Bundesbürgern in insgesamt 281 Episoden deutlich, dass Geld vor Streit, Gier, Eifersucht und Betrug nicht schützt. Die Serie verkauft sich in über 100 Länder – bis nach Israel, Russland und Zimbabwe.
1999 beendet Reinecker mit einer Folge der Krimireihe "Siska" seine Karriere. Er stirbt am 27. Januar 2007 in Kempfenhausen.
Stand: 27.01.2012
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