In den 1950er Jahren gibt es Streit um Deutschlands größten Autohersteller: Wem gehört VW? Die britische Besatzungsmacht hat das Volkswagenwerk 1949 an die Bundesregierung übergeben - treuhänderisch, bis die Eigentumsfrage geklärt wird. Denn viele erheben Anspruch.
Zu ihnen gehören die Gewerkschaften, die 1933 von den Nazis enteignet und um 50 Millionen Reichsmark gebracht wurden. "Sie haben darauf hingewiesen, dass die Finanzierung des Baus des Volkswagenwerkes von den nationalsozialistischen Organisationen durch geraubtes Gewerkschaftsvermögen mitfinanziert worden sei", sagt VW-Chefhistoriker Manfred Grieger.
Auch die CDU geführte Landesregierung von Niedersachsen will das lukrative Unternehmen. Denn nach alliierter Regelung fällt nationalsozialistisches Eigentum an die Länder. Doch Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) und sein Wirtschaftsminister Ludwig Erhard (CDU) haben andere Pläne. Nachdem sie 1957 die Wahl mit dem Slogan "Wohlstand für alle" gewonnen haben, bröckelt mittlerweile die Zustimmung zur Regierung. Die Soziale Marktwirtschaft von Erhard sei mit der Verheißung angetreten, dass Einkommens- und Vermögensunterschiede verschwinden würden, sagt Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser von der Universität Bielefeld. "Nun konnte aber jeder mit den Händen greifen, dass genau das Gegenteil eingetreten ist in den 1950er Jahren."
Rabatt für Geringverdiener
Abhilfe soll die Volksaktie schaffen - verbilligte Anteilsscheine an großen Unternehmen, die sich auch Menschen mit wenig Einkommen leisten können. 1957 hat der Bund bereits Aktien für das Bergbauunternehmen Preussag ausgegeben. Im Wahljahr 1961 soll nun das viel bekanntere Volkswagenwerk privatisiert und so ein Beispiel für "Volkskapitalismus" geschaffen werden. Am Ende steht ein Kompromiss: 60 Prozent der VW-Aktien werden als Volksaktien ausgegeben, die restlichen 40 Prozent teilen sich der Bund und das Land Niedersachsen je zur Hälfte. Der Erlös aus den Volksaktien geht an die VW-Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Forschung. Mit dieser Förderung des Allgemeinwohls sollen die Gewerkschaften beruhigt werden.
Zum Preis von 350 Mark kann die Aktie 1961 gekauft werden. Wer wenig verdient, bekommt einen Rabatt. Die Nachfrage ist groß. Der Kurs klettert rasch, nachdem die Aktie am 7. April 1961 zum ersten Mal an der Börse gehandelt wird. Schon am ersten Tag schießt ihr Wert von 350 auf 750 Mark. Im Juni steht sie kurz bei 1.100 Mark und pendelt sich dann bei 800 Mark ein. Ein Erfolg, den die Bundesregierung im Wahlkampf nutzt.
Zahl der Volksaktionäre schrumpft rasch
Am 1. Juli 1961 kommen über 7.000 Aktionäre zur ersten Hauptversammlung nach Wolfsburg. VW ist die zweitgrößte Aktiengesellschaft der Welt. Vor allem Angestellte haben zugegriffen, sie stellen über 30 Prozent der Aktionäre. Die Arbeiter sind mit sieben Prozent hingegen unterrepräsentiert. Volkswagen macht die Aktie zwar populär, aber nur vorübergehend. Eine Aktie als Rückversicherung für schlechte Zeiten, das wollen viele nicht. So schrumpft die Zahl der Volksaktionäre rasch. Ab 1963 sei die Zahl der Einzelbesitzer deutlich zurückgegangen, sagt Firmen-Historiker Grieger, "sodass das Projekt der Volksaktie 1965 im Kern beendet war".
Als der Bund 1988 seine Anteile verkauft, greifen vor allem Banken und Investmentfonds zu. Mittlerweile gehört VW vor allem den Familien Porsche und Piëch. Ende 2010 besitzen sie über zwei Gesellschaften 34 Prozent der Aktien. Kleinaktionäre halten nur noch gut 16 Prozent.
Stand: 07.04.2011
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