Henrik Ibsen

23. Mai 1906 - Todestag von Henrik Ibsen

Stand: 23.05.2016, 00:00 Uhr

"Ibsen, Ibsen überall! Da geht nichts mehr drüber! Auf dem ganzen Erdenball herrscht das Ibsen-Fieber! Auf Zigarren, Damenschmuck, Torten, Miedern, Schlipsen, prangt das Wort in goldnem Druck: Ibsen! À la Ibsen!", berichtet eine Berliner Zeitung im Jahr 1891. Tatsächlich hat der norwegische Dramatiker Henrik Ibsen das Theater revolutioniert: Er ist der Erste, der alltägliche Charaktere auftreten lässt. Weltberühmt wird Henrik Ibsen mit den zwölf Stücken, die er ab 1877 in Italien und Deutschland schreibt. "Nora oder Ein Puppenheim" (1879), "Gespenster" (1881), "Ein Volksfeind" (1882) oder "Hedda Gabler" (1890) markieren den Beginn des naturalistischen Gesellschaftsdramas.

Ibsen schaut wie ein Feinmechaniker in die Abgründe hinter den Stuckfassaden der Gründerzeitgesellschaft. Seine Figuren haben fast alle bittere Geheimnisse: gefälschte Dokumente, Betrügereien, untergeschobene Kinder, Ehebruch oder Inzest. Oftmals bauen sie ihre ganze Existenz auf Lebenslügen auf. Yvonne Gebauer, Dramaturgin an der Bayrischen Staatsoper, erklärt: "Er brachte das Verdrängte zum Vorschein, die Kreuzungs- und Knotenpunkte irregewordener Lebens- und Familiengeschichten."

Trauma des sozialen Abstiegs

Das Motiv der Ibsen-Figuren ist ihre Angst vor dem sozialen Abstieg, ein Drama, das Ibsen am eigenen Leib erfahren hat. Als Siebenjähriger erlebt er den Bankrott seines bisher wohlhabenden Vaters. Die Familie verliert ihr Haus in Skien und zieht auf den abgelegenen Hof Venstøp außerhalb der Stadt. Für den Besuch der Lateinschule ist kein Geld übrig. Mit knapp 16 Jahren wird Henrik Ibsen zu einem Apotheker in die Lehre geschickt. Später erinnert er sich an seine Jugend in der norwegischen Provinz. "Wie das Leben dort oben vor mir steht, hat es etwas unbeschreiblich Drückendes. Es lähmt den Geist und den Willen. Das ist der Fluch der kleinen Verhältnisse, dass sie die Seelen klein machen", schreibt er.

Er bricht aus der engstirnigen Welt aus, schon mit 20 Jahren schreibt Ibsen sein erstes Theaterstück, wird bald Dramaturg am Theater in Bergen, dann Schauspieldirektor in Christiania, dem heutigen Oslo. 1864 reist er mit einem Stipendium und Frau und Sohn nach Italien, wo er als Dramatiker zum Leben erwacht. Wie im Rausch entwirft der 36-Jährige "Peer Gynt" (1867), die märchenhafte Geschichte eines Traumtänzers und Lügners.

Privat ein aufgeblasener Wicht mit albernem Backenbart

Immer feiner deutet Ibsen die Psychologie seiner Figuren aus. Meist kulminieren die Dramen in einem Punkt, an dem ihre Verfehlungen der Vergangenheit offenbar werden. "Die Geschichten, die Ibsen uns erzählt, erscheinen ohne Ausweg, und wer ihn liest oder ihm im Theater lauscht, ist atemlos von so viel Eingefangensein, von nicht zu Verhinderndem in einem alles überwältigenden, beherrschenden Zeitmaß. Die Erwachsenen wanken wie Gespenster durch ihre abgelebten Leben und auch die Kinder haben hier keine Zukunft", erklärt die Dramaturgin Yvonne Gebauer.

Ibsens Figuren sind voller Brüche und Widersprüche, wie Henrik Ibsen selbst. Der Revolutionär der Theaterwelt und Vater des modernen Dramas ist privat ein Spießer im Bratenrock, ein aufgeblasener Wicht mit albernem Backenbart, der fast nie lacht und selbst zuhause mit Orden herumstolziert. Aus seinen Ängsten und Obsessionen schöpft er für sein Werk. "Leben heißt: dunkler Gewalten Spuk bekämpfen in sich. Dichten: Gerichtstag halten über sein eigenes Ich", schreibt er. Als Henrik Ibsen am 23. Mai 1906 nach mehreren Schlaganfällen im Alter von 78 Jahren in Christiania stirbt, ist er der gefeiertste Dramatiker der Welt. Und bis heute ist er neben William Shakespeare der am meisten gespielte Bühnenautor.

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