20. April 1977 - Woody Allens "Der Stadtneurotiker" wird uraufgeführt

Stand: 20.04.2017, 00:00 Uhr

Zwei ältere Ladys speisen im Hotel. Sagt die eine: "Das Essen hier ist wirklich schrecklich!" Antwortet die andere: "Stimmt. Und diese kleinen Portionen!" Genau so, meint Alvy Singer, sei auch das Leben: "Voll Einsamkeit, Elend, Leid und Kummer – und dann ist es auch noch zu schnell vorbei". Mit diesem Gag eröffnet Woody Allen in der Rolle des New Yorker Comedian Alvy Singer seine Komödie "Der Stadtneurotiker" - Originaltitel: "Annie Hall".

Annie Hall, um die sich alles in dem Neurosen-Dramolett dreht, wird gespielt von Diane Keaton, die im wahren Leben zu Beginn der Dreharbeiten noch Allens Lebensgefährtin ist. Doch schon bei der Uraufführung des Films am 20. April 1977 sind sie getrennt. Die Irrungen und Wirrungen von Alvy/Annie und von Allen/Keaton auf der gleichzeitigen Suche nach Liebe und nach sich selbst, davon erzählt amüsant und temporeich "Der Großstadtneurotiker".

Gefühlssafari im Großstadtdschungel

Nach mehreren weltweit erfolgreichen Komödien beweist Woody Allen mit seinem sechsten selbstinszenierten Film, dass er bedeutend mehr drauf hat als nur urkomische Witzeleien am Rande des Bekloppten. Lebensweise und virtuos huldigt er im "Stadtneurotiker" seinen Vorbildern, die verschiedener nicht sein könnten: Groucho Marx, der Anarcho-Komiker, und Ingmar Bergman, der schwedische Großmeister des Zwischenmenschlichen.

Der therapiesüchtige jüdische Intellektuelle Alvy, Allens Alter ego, ist ein Mann, den die Vergänglichkeit der Liebe und des Lebens von einer Sinnkrise in die nächste stürzt. Annie dagegen, anfangs ein naiv-unsicheres Landei auf Gefühlssafari im Großstadtdschungel, findet mit Therapeutenhilfe zu sich selbst und emanzipiert sich von Alvy - zu dessen Leidwesen: "Ich bezahle ihren Psychiater, sie macht Fortschritte und ich hab‘ immer mehr Schwierigkeiten."

Scheitern in der Liebe? Normal.

Die mit vier Oscars ausgezeichnete Komödie wird nicht nur vom Publikum glänzend aufgenommen. "Eines der wichtigsten Ereignisse der 70er-Jahre", urteilt das "Sunday Times Magazine" und Amerikas Kritikerpapst Vincent Canby schreibt: "Mit 'Der Stadtneurotiker' erweist sich Allen als einer unserer wagemutigsten Filmemacher."

Hierzulande ist man noch nicht auf der Höhe der Zeit. Dem Rezensenten der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gibt der Film "das Gefühl, auf einer Party zu sein, zu der man nicht eingeladen ist".

Das Leben - irrational, bescheuert, absurd

Als Alvy die verwandelte Annie nach Monaten wiedersieht, wird ihm klar, "was für eine ungeheure Persönlichkeit sie ist und was für eine Freude es war, sie nur schon zu kennen." Natürlich erinnert ihn auch diese Erkenntnis an einen Witz: "Rennt ein Mann zum Psychiater und sagt: Doktor, mein Bruder ist meschugge. Er denkt, er ist ein Huhn! – Der Doktor: Warum bringen Sie ihn nicht ins Irrenhaus? Und der Mann sagt: Würde ich schon, aber ich brauch ja die Eier!"

"Ich schätze, das entspricht so ziemlich meinem Gefühl, was Beziehungen betrifft", lässt Woody Allen seinen Stadtneurotiker am Ende resümieren. "Die sind total irrational, bescheuert und absurd. Aber ich glaube, wir machen das deswegen weiter mit, weil die meisten von uns eben die Eier brauchen."

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