Als Horst Stern erfährt, dass seine "Bemerkungen über den Rothirsch" zu Heiligabend 1971 in der ARD ausgestrahlt werden sollen, läuft er rauf zu Fernsehdirektor Horst Jaedicke. "Ich hab ihm gesagt: Das kannst du nicht machen!", wird er sich später erinnern.
"Der Film fängt zwar an wie ein Weihnachtsmärchen, da tritt ein Sechzehnender aus dem deutschen Wald und leise rieselt der Schnee, aber so bleibt das nicht, das wird polemisch." Jaedickes Antwort ist legendär: "Wer am Heiligabend das Fernsehen nötig hat, um in Stimmung zu kommen, der soll das ZDF einschalten. Da singen die Regensburger Domspatzen. Wir senden diesen Film."
Der Film wird gesendet - und zum Skandal. Er ist eine bild- und wortgewaltige Abrechnung mit der Jagd - für Stern ein blutiges Geschäft, das mit Tierliebe nichts zu tun hat und für den Niedergang des Waldes verantwortlich zeichnet.
Es hagelt Protestbriefe, Morddrohungen sind darunter, aber die schockierenden Bilder wirken nachhaltig. Die Politik beschäftigt sich mit dem Thema, das Jagdgesetz wird geändert.
Vom Gerichtsreporter zum Chefredakteur
Geboren wird Stern am 24. Oktober 1922 in Stettin. Nach einer Banklehre wird er Fallschirmjäger im Zweiten Weltkrieg, kommt in amerikanische Kriegsgefangenschaft, 1947 beginnt er bei den "Stuttgarter Nachrichten" als Gerichtsreporter. Da er auf dem Standpunkt steht, dass Journalisten ihre recherchierten Wahrheiten auch publizieren dürfen sollen, geht er schon nach wenigen Jahren im Streit.
Danach wird er Chefredakteur von Zeitschriften wie "Yacht", "Unterwegs" oder "Gute Fahrt". Zur Tierwelt kommt er über den Schriftsteller Wolfgang Bechtle, mit dem er befreundet ist. Stern mietet ein Grundstück, baut ein Gehege und beginnt, in Wochenendbeilagen über seine Beobachtungen zu berichten.
Sterns große Stunde
1963 veröffentlicht Stern mit Bechtle gemeinsam das Buch "Lauter Viechereien". Bei vielen weiteren Büchern fungiert er als alleiniger Autor. Anfang der 60er-Jahre beginnt er zudem mit Tiersendungen für den Schulfunk des Süddeutschen Rundfunks (SDR) im Radio.
1970 bekommt der Autor mit der prägnanten Stimme in der ARD mit "Sterns Stunde" eine eigene Sendung. Damit schreibt er Fernsehgeschichte.
"Klagemauer der Nation"
In "Sterns Stunde" engagiert sich Stern für Pferde, Bienen, Rind und Haushuhn, Storch und Spinne. Er beklagt den Einsatz von Hund oder Tiger bei der Jagd und im Zirkus, beiden setzt er die Forderung nach einer tierwürdigeren Behandlung entgegen.
Er wird Naturschutzbeauftragter am Bodensee und Mitglied im Naturschutzbeirat der bayerischen Staatsregierung, 1975 gehört er zu den Gründungsmitgliedern des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (Bund). Vier Jahre später laufen die letzten drei Filme von "Sterns Stunde", die sich, teils mit Horrorbildern, etwa mit den Tierversuchen der Pharmaindustrie auseinandersetzen.
1980 gründet Stern die Zeitschrift "Natur", die er bis 1984 leitet. 1986 veröffentlicht er einen historischen Roman. Anfang der 90er-Jahre wandert er nach Irland aus: "Ich konnte das nicht mehr aushalten, ich war wirklich zur Klagemauer der Nation geworden, immer und immer wieder hatte ich Briefe auf dem Tisch, wo Leute mich baten, irgendetwas zu retten." Inzwischen lebt er, völlig von der Öffentlichkeit zurückgezogen, wieder in Deutschland.
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 24. Oktober 2017 ebenfalls an Horst Stern. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
Stichtag am 25.10.2017: Vor 10 Jahren: Erster kommerzieller Flug des Airbus A 380