Sie raucht nicht, geht regelmäßig um 23.04 Uhr zu Bett und konsumiert pro Jahr zehn Kilogramm Schokolade. Sie ist 1,76 Meter groß, hat schulterlanges blondes Haar und blaue Augen, der Rest bleibt ihr Geheimnis. Ihren Namen dagegen kennt jeder: Erika Mustermann, am 12. September 1945 als Erika Gabler in München geboren.
Zu Frau Mustermanns Verwandtschaft zählen ihre Namensvettern Max und Renate, aber auch Lieschen Müller und Otto Normalverbraucher, also Hinz und Kunz sozusagen. Denn Erika Mustermann ist deutsche Frau Durchschnitt in Person. Bundesweit bekannt wird sie durch den neuen, maschinenlesbaren Personalausweis, der den Deutschen 1982 mit ihrem Foto vorgestellt wird.
Ungeklärte Verwandtschaft
Bei dem Foto handelt es sich nicht um eine Montage, die sympathische Blondine gibt es tatsächlich. Unter ihrem richtigen Namen arbeitet sie in der Bundesdruckerei, die alle deutschen Ausweisdokumente produziert. Ausgewählt wurde sie, um die Kosten für ein echtes Model zu sparen. Angeblich gingen nach dem Start der Werbekampagne für den neuen "Perso" säckeweise Fanpost und Heiratsanträge für Erika bei der Behörde ein. Die wahre Identität von Frau Mustermann hat allerdings bis heute niemand herausbekommen.
Im Dunklen bleibt auch das genaue Verwandtschaftsverhältnis zu ihrem männlichen Pendant Max und zum kleinen Leon Mustermann, der als Platzhalter im Kinderreisepass dient. Kein Wunder also, dass in der Presse Spekulationen über Erikas Privatleben ins Kraut schießen. Ist die Modellbürgerin womöglich geschieden? War Herr Mustermann vielleicht kein Mustergatte und zuvor mit ihrer offiziellen Vorgängerin Renate Mustermann aus Bonn verheiratet?
Von Amts wegen flexibel
Sicher ist nur, dass Erika in den Zentralen der Macht ein- und ausgeht, denn ihr Name prangt seit 1978 auf zahlreichen Dienstausweis-Mustern und Formularen. Im Bundeskriminalamt (BKA) sind ihre Dienste ebenso gefragt wie in den Bundesministerien des Inneren und der Verteidigung, wo sie den Rang eines Oberleutnants (weiblich) bekleidet. Sie darf Waffen tragen und besitzt neben einer normalen Fahrerlaubnis sogar einen Triebwagen-Führerschein der Bahn. Um der vielseitigen Dame auf die Spur zu kommen, richten Informatiker der Universität Bremen ihr 1995 eine der ersten Internetseiten ein. Und selbstverständlich hat Erika Mustermann heute auch bei Facebook ihren Auftritt.
Vom ersten Abdruck ihres Fotos in Farbe 1997 an geschehen merkwürdige Dinge. Frau Mustermann trägt nun eine Brille, stammt laut Ausweis plötzlich aus Berlin und hat sich um volle zwölf Jahre verjüngt. Es bleibt nicht das einzige chamäleonartige Update in ihrer fiktiven Vita. In der Neuauflage der Personalausweis-Vorlage von 2011 ist die Brille wieder verschwunden; die Bundes-Musterfrau hat inzwischen grüne Augen, ist um 16 Zentimeter auf 1,60 Meter geschrumpft und Jahrgang 1964. Nachvollziehbar ist höchstens, dass die deutscheste aller Erikas von Amts wegen nicht mehr in München wohnt, sondern in Köln. Schließlich lautet ihre Dienstnummer beim BKA 4711.
Stand: 12.09.2015
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