Buenos Aires, 11. Mai 1960: Üblicherweise kehrt Adolf Eichmann werktags jeden Abend um 19.40 Uhr mit einem Bus der Linie 203 von seinem Job als Elektriker bei Mercedes-Benz zurück in den Vorort San Fernando. Dort wohnt der Nationalsozialist und Organisator des Holocaust seit einigen Jahren unter falschem Namen mit seiner Familie. Doch an diesem Abend verspätet er sich: Zwei Busse passieren die Haltestelle, ohne dass der frühere Obersturmbannführer aussteigt. Die sieben Mitarbeiter des israelischen Geheimdienstes Mossad, die auf der Lauer liegen, werden unruhig. Sie haben den Auftrag, ihn zu entführen und nach Israel zu schaffen, wo ihm der Prozess gemacht werden soll.
Die Agenten warten schon über eine halbe Stunde. Zwei von ihnen beugen sich unter die geöffnete Motorhaube ihres Wagens, um angeblich eine Panne zu beheben. Wenige Meter entfernt steht ein zweites Auto, das nur die Aufgabe hat, Eichmann bei seiner Gefangennahme mit den Scheinwerfern zu blenden. Kurz nach 20 Uhr steigt der Gesuchte doch noch aus einem Bus. Nun geht alles sehr schnell. Einer der Agenten stürzt sich auf ihn. "Die haben sich beide im Graben rumgewälzt - drei, vier Meter entfernt vom Auto - und Eichmann hat geschrien", erinnert sich später Mossad-Mitarbeiter Zvi Aharoni. Doch der Überfallene hat keine Chance, die Männer zerren ihn in das Auto. Die ganze Aktion dauert nicht mal eine Minute.
Eichmann: "Ich werde meinen Krieg noch gewinnen"
Der am 19. März 1906 in Solingen geborene Eichmann wächst in Linz auf, wo er 1932 der österreichischen NSDAP und der SS beitritt. Ab 1935 beschäftigt er sich beim SD, dem Sicherheitsdienst der SS, in Berlin mit der Zwangsumsiedlung der jüdischen Bevölkerung. Drei Jahre später leitet er in Wien die "Zentralstelle für jüdische Auswanderung". In weniger als anderthalb Jahren werden rund 128.000 Juden gezwungen, das Land zu verlassen. Im Dezember 1939 übernimmt Eichmann in Berlin die Leitung des Referats "Auswanderung und Räumung" im Reichsicherheitshauptamt. In dieser Funktion ist er zuständig für die Deportation von mehreren Millionen Juden in Ghettos und Konzentrationslager.
1941 reicht Adolf Hitler die Vertreibung von Juden nicht mehr aus, er befiehlt ihre systematische Vernichtung. Auch für dieses Ziel des "Führers" setzt sich Eichmann mit vollem Einsatz und voller Überzeugung ein. Im selben Jahr reist er zum ersten Mal nach Auschwitz, wo er den Einsatz von "Zyklon B" begutachtet. Mit diesem Gas soll der Massenmord möglichst effizient abgewickelt werden. Weitere Besichtigungen von Vernichtungslagern folgen. Während der "Wannsee-Konferenz", bei der 1942 die Zusammenarbeit aller an der "Endlösung der Judenfrage" beteiligten Dienststellen koordiniert wird, führt Eichmann das Protokoll. Als später die deutsche Niederlage absehbar ist, verstärkt er sein Engagement noch: "Er hat zu seinen Freunden gesagt: 'Ich weiß, der Krieg ist verloren, aber ich werde meinen Krieg noch gewinnen'", sagt später Gabriel Bach, der israelischen Ankläger gegen Eichmann. "Und dann fuhr er nach Auschwitz, um die Tötungen von 10.000 pro Tag auf 12.000 pro Tag heraufzubringen."
Stellt sich als schuldloser Befehlsempfänger dar
Nach Kriegsende taucht Eichmann zunächst in Deutschland unter und wird unter anderem Hühnerzüchter. Dann flieht er über die sogenannte Rattenlinie nach Argentinien - mit falschen Papieren aus dem Vatikan. Der katholischen Kirche gelten er und tausende andere Nazis als Verfolgte, denen geholfen werden muss. Dass Eichmann sich in Argentinien aufhält, erfahren die Israelis vom damaligen hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Dieser hatte nur sie und nicht die deutschen Justizbehörden darüber informiert - aus Sorge, Eichmann könnte von deutscher Seite gewarnt werden.
Neun Tage nach der geglückten Entführung wird Eichmann in einem Flugzeug außer Landes geschmuggelt. Denn zwischen Argentinien und Israel besteht kein Auslieferungsabkommen. Am 23. Mai 1960 gibt der israelische Premierminister Ben Gurion bekannt, dass Eichmann in Jerusalem sei und sich vor Gericht verantworten müsse. Im Verfahren stellt Eichmann sich als schuldlosen Befehlsempfänger dar: "Es war Krieg. Ich hatte nur eines zu tun: Ich hatte zu gehorchen, denn ändern konnte ich nichts." Das Gericht sieht das anders. Am 31. Mai 1962 wird Eichmann gehenkt. Seine Asche wird im Mittelmeer verstreut.
Auch nach Kriegsende überzeugter Nazi
Erst lange nach Eichmanns Tod wird ein Tonband von 1956 gefunden. Die geheime Aufnahme dokumentiert ein Gespräch zwischen ihm und dem ebenfalls nach Argentinien geflohenen SS-Mann Willem Sassen, der nun als Journalist arbeitet. Das Band belegt, dass der Schreibtischtäter Eichmann auch nach dem Zweiten Weltkrieg ein überzeugter Nationalsozialist geblieben ist: "Hätte ich den Posten eines Kommandanten eines Konzentrationslagers ausfüllen müssen, ich hätte auch nicht anders gehandelt. Und hätte ich den Befehl bekommen, Juden zu vergasen oder Juden zu erschießen, dann hätte ich die Befehle durchgeführt."
Stand: 23.05.2015
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