Im Schatten von Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sarte forderte ein weiteres französisches Intellektuellenpaar die Öffentlichkeit heraus: Benoîte Groult, selbstbewusste Feministin und Bestsellerautorin, geboren am 31. Januar 1920, und ihr vierter Ehemann Paul Guimard, Linksintellektueller und Vertrauter François Mitterands. "Freiheit, Gleichheit, Treue" liessen sie sich in ihre Eheringe gravieren. Außereheliche Affären schloss ihre Losung ausdrücklich nicht aus. Ihre lebenslang andauernde Liebesaffäre mit einem US-amerikanischen Piloten verarbeitete Benoîte Groult in dem Millionenbestseller "Salz auf unserer Haut". Die erotische Liebesgeschichte zwischen einer Pariser Intellektuellen und einem bretonischen Fischer erschien 1988.
Kritiker werten Roman als pornographisch ab
"Ich war achtzehn, als Gauvain in mein Herz und für immer in mein Leben getreten ist. Aber wir wußten es nicht, er nicht und ich nicht. Ja, doch, mit dem Herzen hat es angefangen, oder mit dem, was ich damals dafür hielt und was zunächst nichts anderes war als die Haut", lautet der erste Satz des Romans. Obwohl beide nie zusammen leben werden, können die Ich-Erzählerin George und der Fischer Gauvain nicht voneinander lassen und treffen sich über Jahrzehnte immer wieder.
Seitdem steht Groults Name für Sehnsucht, Sinnlichkeit, Romantik und das Meer. "Das Meer, das Meer! Alle meine Häuser schauen aufs Meer. Natürlich nicht hier in Paris, aber in Hyères und in der Bretagne wohne ich direkt am Meer. Und natürlich habe ich auch blaue Augen. Blau steht für die Unendlichkeit", sagt Groult einmal.
Benoîte Groult ist 65 Jahre alt, Autorin mehrerer Bücher und feministischer Essays, als sie mit dem Roman berühmt wird. Ihre Beschreibungen von Geschlechtsorganen und weiblicher Lust schmerzen fast. "Die Scheiden der Heldinnen werden als unverwüstliche Rohrleitungen dargestellt, die das Eindringen von Fremdkörpern endlos ertragen können. Meine hingegen ist vollkommen wund. Ich inspiziere die Stelle mit meinem vergrößernden Kosmetikspiegel und erkenne meine brave, anständige, sonst so diskrete, so vornehme Vulva nicht wieder. Sie hat sich in eine ungeheuerliche, unverschämte, überquellende Aprikose verwandelt, bei der das Fleisch die Haut beiseite schiebt und allen Raum einnimmt, kurz in eine absolut indezente Frucht, die zu allem Unheil auch noch brennt, ganz abgesehen davon, dass sie unfähig ist, auch nur ein Suppennüdelchen aufzunehmen", heißt es im Roman. Literaturkritiker tun ihn zunächst als pornographisch ab, fragen nach der Meinung ihres Mannes. "Als würde man einen Pornoautoren fragen, was seine Frau davon hält. Aber weil ich eine Frau bin, soll ich wohl erzogen bleiben, soll ich von Sex reden, ohne Sex zu sagen und von der Vagina ohne Vagina zu sagen", sagt sie in einem Interview.
Groult: "Feminismus ist etwas Schönes"
Mit dem Skandal setzt die Schriftstellerin eine Familientradition fort. Schon ihre Mutter, eine schöne und extrovertierte Frau, hatte in den 1920er-Jahren offen ihre lesbische Beziehung ausgelebt und in surrealistischen Künstlerkreisen über ihre sexuellen Wünsche geredet. Der ungeheure Erfolg des Romans in Deutschland überrascht Groult. "Liegt es am Sinn der Deutschen für Romantik? Als ich einmal in Begleitung meines Mannes bei einer Lesung in Deutschland war, wollten alle den Mann anfassen, der mit mir schlief, als wäre ich die Heilige von Lourdes", erinnert sie sich.
Doch nicht nur mit "Salz auf unserer Haut" bricht die Feministin Tabus. In ihrer Autobiographie erzählt sie offen, wie Abtreibungen zum Alltag von Frauen in den 1940er- und 50er-Jahren gehörten. "Alle Frauen trieben ab, zwischen ein bis acht Mal in ihrem Leben. Die Reichen und die Armen, ansonsten hätten wir alle zwölf Kinder bekommen. Ich war zum Beispiel alle drei Monate schwanger. Dass viele Frauen bei den Abtreibungen starben, ahnte man. Aber man durfte es nicht aussprechen", berichtet sie.
Wie ausgeliefert und abhängig die Frauen ihrer Generation waren, hat Benoîte Groult immer wieder beschrieben. Weibliche Selbstbestimmung und Freiheit sei eine unschätzbare Errungenschaft betont sie und bedauert zutiefst, dass sich viele junge Frauen heute nicht mehr mit dem Feminismus identifizieren. "Der Feminismus ist etwas Schönes: Wir haben niemanden getötet. Wir haben uns in Europa alle Freiheiten erkämpft - ohne Kriege zu führen, ohne Revolutionen. Das ist bewundernswert."
Stand: 31.01.2015
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