Anais Nin, Schriftstellerin

Stichtag

14. Januar 1977 - Anaïs Nin stirbt in Los Angeles

Paris in den 1930er Jahren: Anaïs Nin ist mit Hugo Guiler verheiratet, einem Banker aus New York, mit dem sie aus den USA an die Seine gezogen ist. Nin spricht nicht nur Englisch, sondern auch Französisch. Denn sie stammt ursprünglich aus Frankreich, wo sie am 21. Februar 1903 in Neuilly geboren wurde. Als Gattin versteht sie zu repräsentieren. Sie ist elegant, gebildet - und führt ein Doppelleben. In ihr Tagebuch schreibt sie 1931: "Ich bin entschlossen, mir keine Erfahrung, die sich mir bietet, entgehen zu lassen."

Kurze Zeit später trifft sie den Schriftsteller Henry Miller. Die Begegnung wird für Nin zum Schlüsselerlebnis: "Sein Schreibstil ist vehement, männlich, animalisch, prachtvoll", notiert sie. "Er ist ein Mann, der sich am Leben berauscht, dachte ich. Er ist wie ich." Bald verbindet die beiden eine heftige intellektuelle und erotische Leidenschaft. Auch mit Millers Frau June hat Nin eine Affäre. Sie stürzt sich von einer Liebschaft in die nächste. Selbst mit ihrem Bruder, ihrem Vetter und ihrem Vater soll sie etwas gehabt haben. Nin beschäftigt sich intensiv mit Psychoanalyse. Otto Rank, ein enger Freund von Siegmund Freud, verfällt ihr ganz und gar.

Anaïs Nin reflektiert ihre Erfahrungen und Erlebnisse in Tagebüchern, die sie seit ihrem elften Lebensjahr führt. Damals sehnt sie sich nach ihrem Vater, einem spanischen Konzertpianisten, der seine Frau in Kuba kennengelernt hatte. Doch die Ehe ist gescheitert, der Erste Weltkrieg beginnt und so emigriert die Mutter mit Anaïs und ihrem Bruder 1914 nach New York. "Ich habe angefangen zu schreiben", sagt Nin später, "als ich meinem Vater, der nicht mitreisen konnte, die Reise von Europa nach Amerika erzählen wollte." Ingesamt füllen die Eintragungen am Ende ihres Lebens rund 50.000 Seiten.

Traum und Wirklichkeit

"Was mich am meisten bei der Niederschrift meines Tagebuchs interessiert hat, war das Geheimnis meines Ichs", sagt Nin, die sich für Träume interessiert: "Ein Satz von C. G. Jung hat mich sehr inspiriert: vom Traum in die Wirklichkeit hinausgehen." Im Leben wie in der Literatur balanciert Nin auf einem schmalen Grat: "Der Traum ist eine Art Vorbild für Anaïs Nin gewesen, dass alles noch mehr und ganz anders, verrätselter, geheimnisvoller und faszinierender sein kann", sagt Nin-Biografin Linde Salber.

Als der Zweite Weltkrieg beginnt, kehrt Nin mit Guiler von Paris nach New York zurück. Ab 1940 schreibt sie erotische Geschichten, für einen Dollar pro Seite. Später machen diese unter dem Titel "Delta der Venus" Furore. Mit ihrem Liebhaber, einem mittellosen peruanischen Schriftsteller, gründet sie einen Verlag und druckt ihre ersten surrealistischen Erzählungen selbst. 1947 trifft sie auf einer Party den Schauspieler Rupert Pole. Er wird ihr eine Art zweiter Ehemann. Mit ihm lebt sie in Los Angeles, in New York mit Guiler. Beide wissen lange nichts voneinander. Guiler weiß ohnehin jahrzehntelang nicht, was seine "Pussycat" sonst noch so treibt.

Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung

Der große Durchbruch kommt für Nin in den 1960er und 1970er Jahren - mit den Hippies, die ebenfalls den Traum von einem anderen Leben, fern der etablierten Bürgerlichkeit, verwirklichen wollen. 1966 erscheinen Nins Tagebücher und werden weltweit zu Bestsellern. Nin wird zum Vorbild weiblicher Selbstverwirklichung und sexueller Selbstbestimmung.

Die Universität von Los Angeles kauft 1975 Originaltagebücher und Briefe an, die Nin seit den 1930er Jahren in Banksafes gehütet hat. Sie versteht sich als Schriftstellerin, die mit ihrer ganzen Existenz experimentiert hat und ausgebrochen ist. "Sie fand das so wichtig, dass sie das selber dokumentiert hat", sagt Biografin Salber. Nin habe anderen erzählen wollen, "mit welchen Mühen, Schmerzen, Verzweiflungen und Höhenflügen es verbunden ist, wenn man vom Wege abgeht." Anaïs Nin stirbt am 14. Januar 1977 im Alter von 73 Jahren in Los Angeles.

Stand: 14.01.2012

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