100 Jahre Reitsport in Aachen - vom kleinen Turnier zum großen "Weltfest"
Stand: 29.06.2024, 15:41 Uhr
Vor 100 Jahren hat der Aachen-Laurensberger Rennverein (ALRV) in der Soers am 13. Juli das erste "Reit- und Fahrturnier, verbunden mit Flach- und Hürdenrennen" veranstaltet. Daraus ist mittlerweile ein zehntägiges "Weltfest des Pferdesports" geworden.
In diesem Jahr (28. Juni bis 7. Juli) messen sich bei dem CHIO in Aachen 300 Reiter aus 30 Nationen mit rund 600 Pferden in den fünf Disziplinen Springen, Dressur, Vielseitigkeit, Vierspännerfahren und Voltigieren miteinander.
Erste Pferderennen "auf freiwilliger Basis" bereits 1821
Die Anfänge des Reitsports liegen in Aachen viel weiter als "nur" 100 Jahre zurück. Schon als am 15. Juli 1821 wurde das erste "Pferde-Rennen auf freiwilliger Basis" als Galopprennen nach englischem Vorbild auf der Großen Heide in Aachen-Brand ausgetragen. Damals sollen rund 900 Besucher das Highlight der Kursaison Aachens besucht haben - beim CHIO sind es mittlerweile rund 350.000 Besucher.
Bereits im zweiten Turnier-Jahr lockte der ALRV an vier Tagen rund 20.000 Zuschauer zum Rennplatz am Soerserweg - und dies obwohl kurz zuvor durch eine "zu zahlende Lustbarkeitssteuer" noch das finanzielle Aus drohte, wie in einer "Zeitreise" des Vereins nachzulesen ist. Es ging fortan steil bergauf: 1927 wurde das Turnier mit Reitern aus acht Nationen, die im ersten "Großen Preis von Aachen" gegeneinander antraten, international. 1929 folgte der erste "Preis der Nationen".
Schnelle Wiederbelebung des Turniers nach Weltkrieg
Den von der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI) eingeführten Titel "CHIO" - Concours Hippique International Officiel - führt das Reitsportfest seit 1933 offiziell. Nach dem 15. Reit-, Spring- und Fahrturnier war in der Soers 1939 allerdings erstmal Schluss mit internationalem Reitsport. Nur wenige Tage nach Ende des Turniers überfiel die deutsche Wehrmacht das Nachbarland Polen und entfesselte den 2. Weltkrieg.
Nachdem Nazi-Deutschland diesen 1945 verloren hatte, entfaltete der Reitsport in Aachen trotz des von den Nazis organisierten Völkermordes an den Juden und der deutschen Kriegsverbrechen schnell wieder eine völkerverbindende Wirkung. Bereits 1947 fand der Aachener Verein zu seinem internationalen Format zurück. Reiter aus England, Polen, Belgien und den Niederlanden traten in der Soers in sechs Prüfungen gegeneinander an.
Winkler und Klimke schreiben in Aachen Geschichte
Nach dem frühen Neustart ging es mit den Zuschauerzahlen stetig bergauf. 1955 sahen bei der erstmals in Aachen ausgetragenen Weltmeisterschaft 55.000 Menschen den Siegsritt des Deutschen Hans Günter Winkler. Der fünffache Olympiasieger hatte ein Jahr zuvor bereits in Madrid triumphiert.
Der CHIO hat auch den Dressursport entscheidend geprägt. So war Aachen 1967 erster Austragungsort einer Dressur-EM, die damals Reiner Klimke für sich entschied. 1970 lieferte die Kaiserstadt die Kulisse für die zweite Dressur-WM, wobei die Titel dieses Mal an die UDSSR gingen - Elena Petushkova wurde erste weibliche Weltmeisterin.
Emotionale Momente für Bundestainer Becker in der Soers
Vor der beeindruckenden Kulisse in Aachen erlebte auch der heutige Bundestrainer der Springreiter, Otto Becker, einige seiner emotionalsten Sport-Momente. 2000 triumphierte er als Reiter in der Soers mit Dobel's Cento, den er dort während der WM 2006 vor vollem Stadion auch in den Pferde-Ruhestand verabschiedete: "Das sind Momente, die wird man nie vergessen. Da kommen einem heute fast noch die Tränen", so Becker.
2006 wurden bei den Weltreiterspielen in Aachen erstmals 16 Weltmeistertitel in sieben Reitsportdisziplinen vergeben. 773 Pferdesportler aus 61 Nationen mit 852 Pferden gingen auf Titeljagd, und am Ende stand Deutschland im Medaillenspiegel mit sechs Gold-, einer Silber- und vier Bronzemedaillen ganz oben. Die 14 Tage der World Equestrian Games wurden von rund 576.000 Zuschauern in meist ausverkauften Stadien und 1,6 Milliarden Fernsehzuschauern verfolgt.
Die Messlatte für Pferdesport in Aachen liegt also seit geraumer Zeit hoch. Und wenn das Wetter in der Soers auch nicht immer mitspielt, für die Zuschauer gibt es nach etlichen Um-, Aus- und Neubauten längst viele überdachte Plätze, sodass die meisten weitgehend trocken in das nächste Jahrhundert der Aachener Reitsportgeschichte gehen - auch wenn das Aachener "Regenloch" seinem Ruf mal wieder gerecht wird.