"Nur wenige Tage, und ich werde sehr glücklich oder sehr unglücklich sein", schreibt die werdende Mutter Thea am 7. Januar 1905 in ihr Tagebuch. "So allein" fühlt sie sich kurz vor der Geburt ihres zweiten Kindes. Der Vater ist ein verheirateter Mann.
Der Eintrag ist der erste einer Chronik, die mehr als sechs Jahrzehnte umfasst. Darin hält Thea Sternheim fest, was ihr persönlich widerfährt. Sie hat aber auch einen Blick für politische Entwicklungen: "Bei der Devisen-Beschaffungsstelle fällt mir auf, dass die diensthabenden Beamten ihren Schnurrbart hitlerisch tragen", schreibt sie 1931.
Glamouröses Leben, zermürbende Ehe
Geboren wird Thea Bauer am 25. November 1883 in Neuss. Als Tochter eines Schraubenfabrikanten wird sie großbürgerlich und katholisch erzogen. Eine leidenschaftliche, musische Persönlichkeit - aber rebellisch.
Thea brennt mit ihrer ersten großen Liebe Arthur Löwenstein durch und heiratet den Anwalt. Sie verlässt ihn für Carl Sternheim, einen noch kaum bekannten Bühnen-Autor. Was folgt, hält sie minutiös in ihrem Tagebuch fest: das Leben auf großem Fuß, ständige Umzüge, Kunstkäufe und Begegnungen mit Dichtern, Politikern, Malern.
Aber Carl betrügt sie ständig. Thea lässt sich 1930 scheiden, sorgt aber weiter für ihn, als er schwer krank wird. "Dreissigjährige Fron am Mann", seufzt sie später.
"Gefängniszelle Deutschland"
Zu den privaten Problemen kommen die politischen Krisen. Der Nationalismus des Ersten Weltkriegs entsetzt sie, den Aufstieg Hitlers beobachtet sie mit Sorge: "Diese Gefängniszelle Deutschland", schreibt sie anderthalb Jahre vor der Machtergreifung.
Wenig später flieht sie nach Paris. Die Besetzung Frankreichs durch Hitlers Truppen kostet sie fast alles, was ihre Welt ausmacht: Sie verliert Vermögen und beide Kinder. Aber sie bleibt, auch nach Ende des Krieges.
Kompliziertes Verhältnis zu Benn
Da nimmt sie wieder Kontakt zu Gottfried Benn auf. Sie haben immer schon ein äußerst kompliziertes Verhältnis, nicht zuletzt, weil er Jahre zuvor ihre Tochter verführt hat. Und sie findet Benns Kotau vor den Nazis abstoßend: "Reklamechef für eine Mordfirma" nennt sie ihn.
Aber Benn ist derjenige, "der am besten erfasst hat, was mich am innigsten bewegt". Und er hilft ihr, ihren einzigen Roman zu veröffentlichen. Titel: "Sackgassen".
Schreiben bis kurz vorm Lebensende
Das Marbacher Literaturarchiv zeigt Interesse an ihren Tagebüchern. "Ich glaub, das verbrenne ich lieber", sagt Thea Sternheim. Sie tut es nicht, schreibt immer weiter. Am 5. Juli 1971 stirbt sie im Alter von 87 Jahren.
Autorin des Hörfunkbeitrags: Monika Buschey
Redaktion: Hildegard Schulte
Programmtipps:
"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 05. Juli 2021 an Thea Sternheim. Das "ZeitZeichen" gibt es auch als Podcast.
ZeitZeichen am 06.07.2021: Vor 50 Jahren: Todestag des Jazzmusikers Louis Armstrong