Ein Trend in fast ganz Europa: Viele Menschen, die man früher als Teil der so genannten "Arbeiterklasse" gesehen hätte, haben sich von demokratischen Parteien abgewandt. Das hat verschiedene Gründe, liegt aber nicht zuletzt auch daran, dass sie ihre Interessen im politisch-gesellschaftlichen Diskurs nicht mehr vertreten sehen. Trifft das zu?

Die Organisation von Arbeit spielt jedenfalls in der Demokratietheorie eine zu untergeordnete Rolle, sagt der Philosoph Axel Honneth. Der demokratische Souverän sei ja nicht zuletzt auch ein "arbeitender Souverän". Axel Honneth sieht einen direkten Zusammenhang zwischen der Organisation von Arbeit und dem Zustand der Demokratie, denn demokratische Praxis ist auch eine Frage der Möglichkeit: "Wenn man unterbezahlt ist, besitzt man kaum die Kraft, sich an der Demokratie zu beteiligen, weil es nur darum geht, täglich den Lebensunterhalt zu sichern. Dasselbe gilt für Überforderung, denn diese nimmt einem die Energie und Zeit, sich politisch zu engagieren."
Wenn Arbeit das halbe Leben ist oder mehr, dann ist das in Honneths Augen auch deshalb ein Problem, weil die demokratische Freiheit meist am Firmentor endet, schließlich sind viele Arbeitsverhältnisse ungeregelt, und die berufliche Mitbestimmung hat eine sinkende Bedeutung. "Es kann nicht sein, dass demokratische Bürgerinnen und Bürger in den Betrieben, Verwaltungen und Behörden so behandelt werden, als seien sie Untertanen."
Was also müsste passieren, um dem arbeitenden Souverän zu seinem Recht zu verhelfen und damit die Demokratie zu stärken? Axel Honneth schlägt mehr Teilhabe, eine Reduktion der Arbeitszeit, weniger Druck vor – und mehr Anerkennung. Denn auch die Wertschätzung sei eine unverzichtbare Grundlage für politisches Interesse und Engagement.
Wie viel Zeit lässt Ihnen die Arbeit für politisches Interesse? Was braucht es, damit die Organisation von Arbeitsverhältnissen das demokratische Gemeinwesen stützt? Welche Rolle spielt die Arbeit für die Demokratie?
Hörer:innen können mitdiskutieren unter 0800 5678 555 oder per Mail unter philo@wdr.de.
Redaktion: Gundi Große
Literaturhinweis: Axel Honneth: Der arbeitende Souverän. Ein normative Theorie der Arbeit. Suhrkamp Verlag, 2023.