Es ist jetzt etwas mehr als 50 Jahre her, dass Gertrud Rehm sich entschied, ihr Leben Gott in einem Kloster und in Keuschheit zu widmen. Sie trat in den Orden der Missionsschwestern vom heiligsten Herzen Jesu in Münster-Hiltrup ein. Umso verwirrter war sie, als ihr ausgerechnet ein Pater bei Exerzitien, also religiösen Übungen, näher kam.
Missbrauchtes Vertrauen
Gertrud Rehm, die damals Schwester Domenica hieß, geriet in einen Zwiespalt der Gefühle. Pater Alfons K., Ordensbruder der Hünfelder Oblaten, war ein großer, stattlicher Mann und für die Schwestern der Hiltruper Missionarinnen eine geistliche Autorität. "Und dessen war er sich bewusst", sagt Gertrud Rehm heute. Immer wieder habe sie ihn getroffen, und immer wieder habe er ihre besondere Nähe verklärt und ihr Vertrauen missbraucht.
Typischer Fall für spirituellen Missbrauch
Es ist "ein typischer Fall für spirituellen Missbrauch und das Ausnutzen geistlicher Macht“, schätzt Professor Thomas Schüller, Kirchenrechtler an der Uni Münster, den Fall ein.
Spiritueller Missbrauch
Beim spirituellen Missbrauch in einem geistlichen Umfeld (egal welcher Religion oder welchen Glaubens) nutzen die Täter ihre religiös/geistlich begründete Autorität, also in der Regel auch ihre Machtposition zur Erfüllung eigener Interessen und Bedürfnisse aus. Oft sind es Menschen mit positiver Ausstrahlung und großem persönlichem Charisma. Sie erzeugen bei ihrem Gegenüber das Gefühl, ausgewählt und etwas Besonderes oder aber besonders schwach und hilflos zu sein. Die Betroffenen werden dadurch manipuliert, in eine Abhängigkeit getrieben und in ihren Grundwerten so erschüttert, dass sie oft in ihrer eigenen Meinung stark verunsichert sind. Die Folgen des spirituellen Missbrauchs sind meist schwer, die Betroffenen stehen nicht selten vor den Ruinen ihres Weltbildes .
Pater Alfons K. behielt bis zu seinem Tod im Jahr 2011 seine geistliche Macht über Gertrud Rehm. Denn obwohl sie nach 17 Jahren aus dem Orden ausgetreten und inzwischen sogar kurzzeitig mit einem anderen Mann verheiratet war, riss der Kontakt nicht ab. Immer wieder besuchte er sie, übernachtete bei ihr, tat so, als sei es eine feste Beziehung. Ihre Hoffnung, dass er wie sie aus seinem Orden austreten und dann offen zu ihr stehen würde, erfüllte sich aber nicht. Gertrud Rehm wurde immer wieder enttäuscht.
Orden: "Erfahrungen missbräuchlicher Beziehungen"
Die Hünfelder Oblaten, der Orden von Pater K., kannte seine Beziehung zu der ehemaligen Nonne. Gegenüber dem WDR lehnt der Ordensobere aber jegliche Stellungnahme ab.
Auch die Hiltruper Missionarinnen möchten zum Fall Gertrud Rehm kein Interview geben. Provinzleiterin Schwester Mechthild drückt in einem Schreiben an den WDR ihr Bedauern aus und räumt schriftlich ein:
Enttäuschung und Trauer bis heute
Gertrud Rehm hat in diesem Sommer von ihrem ehemaligen Orden 20.000 Euro bekommen. Die Enttäuschung und Trauer über die Beziehung zu Pater Alfons K. hat sie aber bis heute nicht überwunden.