André Fuhr in Blomberg: Hat der Verein jahrelang weggesehen?

Stand: 31.10.2022, 17:36 Uhr

Nach den Vorwürfen gegen Handballtrainer André Fuhr muss sich jetzt auch sein ehemaliger Verein HSG Blomberg-Lippe zunehmend kritische Fragen stellen lassen. Immer mehr ehemalige Spielerinnen berichten von psychischem Druck, Beleidigungen und Erniedrigungen. Und der Verein habe bei alldem weggesehen.

Von Thomas Wöstmann

Anja Ernsberger kam 2010 aus Rostock zur HSG Blomberg-Lippe – 20 Jahre alt war sie damals. "Für mich war das wie ein Geschenk" – neben Weltklassespielerinnen die ersten Schritte in der Bundesliga. Jahrelang hatte sie darauf hingearbeitet, war als Kind in Ostberlin zur Sportschule gegangen und kannte den Drill ehemaliger DDR-Trainer: „Morgens um sieben Uhr an der Grundlinie und ´Guten Morgen, Herr Trainer´ grüßen. Ich habe es geliebt…“.

Als sie Fuhrs Methoden in Blomberg erlebte, habe sie gedacht: "Das muss wohl so sein in der Bundesliga. Ich werde als 20-Jährige doch nicht aufmucken, wenn die Nationalspielerinnen da mitmachen." Fuhr habe merkwürdige Regeln aufgestellt: "Immer den Trainer anschauen, wenn er redet. Nur stehen, nicht sitzen. Keine Schuhe zubinden während des Trainings."

Keine Schwäche zeigen

Und der Druck ging weit übers Sportliche hinaus: "Vor meinem ersten Bundesligaspiel war ich so aufgeregt, dass ich nachts den Fernseher habe laufen lassen. Am nächsten Morgen war das Erste, was Herr Fuhr vor der ganzen Mannschaft sagte: warum ich denn denn so lange Fernsehen würde."

Keine Schwächen zeigen, nie fehlen – das habe sie in Blomberg verinnerlicht. Training trotz Verletzung, trotz Krankheit – und abends im Bett habe sie sich oft in den Schlaf geweint.

Im Verein hätten die meisten vor allem weggesehen: "Es gab wenige, die nahe an der Mannschaft waren. Die Machtkonzentration von Herrn Fuhr war sehr hoch, als Trainer, Sportlicher Leiter und Verantwortlicher für das Handball-Internat. Dann ist es schwer, Gehör zu finden," so Ernsberger.

Verein bitte um Zeit für Aufarbeitung - Fuhr schweigt

Zu Interviews ist der Verein nicht bereit. Es brauche Zeit, das Geschehene aufzuarbeiten. In einer Stellungnahme auf der Homepage des Vereins heißt es: "Es macht uns betroffen, die Vorgänge nicht gesehen und geahndet zu haben."

Anja Ernsberger jedenfalls hofft, dass die jetzt bekannt gewordenen Vorwürfe etwas bewirken: "Ich würde mich freuen, wenn Blomberg und der DHB eine neutrale Institution beauftragen, um das aufzuarbeiten."

Blombergs Sponsor Phoenix Contact will den Verein weiter fördern. Fordert aber gleichzeitig künftig bessere Strukturen. André Fuhr hat Anfragen um eine Stellungnahme unbeantwortet gelassen.

Über das Thema berichtet die Lokalzeit OWL am Montag, 31.10.2022 auch im Radio und Fernsehen.