Buchmesse verschiebt Preisverleihung an palästinensische Autorin

Stand: 13.10.2023, 10:42 Uhr

Die palästinensische Autorin Adania Shibli sollte auf der Frankfurter Buchmesse mit dem "LiBeraturpreis“ ausgezeichnet werden. Doch nun ist die Preisverleihung verschoben. Ihr Roman "Eine Nebensache" war wegen angeblich antisemitischer Klischees kritisiert worden.

Von Uli Hufen

Im vergangenen Jahr erschien erstmals auf Deutsch ein Roman der international renommierten palästinensischen Autorin Adania Shibli. "Eine Nebensache" erzählt von Gewalt und Unrecht, über Geschichte und Vergessen und darüber, was Gewalt macht mit denen, die sie ausüben, und mit denen, die von ihr betroffen sind.

Veranstalter sucht nach geeigneterem Zeitpunkt

Der Roman war 2020 für den International Booker Prize nominiert und sollte am 20. Oktober 2023 auf der Frankfurter Buchmesse mit dem "LiBeraturpreis" ausgezeichnet werden. Doch dazu wird es erst einmal nicht kommen. "Die Preisträgerin wird von einer unabhängigen Jury ausgewählt. Litprom ist der durchführende Veranstalter und vollständig für die inhaltliche Ausrichtung der Preisvergabe verantwortlich. Angesichts des Terrors gegen Israel sucht Litprom nach einem geeigneten Rahmen der Veranstaltung zu einem Zeitpunkt nach der Buchmesse", sagte Buchmessen-Direktor Jürgen Boos.

Buchmesse verurteilt Terror der Hamas

Boos veruteilte den Terror der Hamas gegen Israel aufs Schärfste. Der Terror gegen Israel widerspreche allen Werten der Frankfurter Buchmesse. "Die Messe stehe "mit voller Solidarität an der Seite Israels". Die Buchmesse wolle daher "jüdische und israelische Stimmen auf der Buchmesse nun besonders sichtbar machen".

PEN-Berlin verteidigt Autorin

Shiblis Roman "Eine Nebensache" war von der Kritik hoch gelobt, aber auch wegen angeblich antisemitischer Klischees kritisiert worden. Der PEN-Berlin hatte am Freitag in einer Presseerklärung die Autorin und ihr Werk verteidigt. „Kein Buch wird anders, besser, schlechter oder gefährlicher, weil sich die Nachrichtenlage ändert. Entweder ist ein Buch preiswürdig oder nicht. Die schon vor Wochen getroffene Entscheidung der Jury für Shibli war nach meinem Dafürhalten eine sehr gute. Ihr den Preis zu entziehen, wäre politisch wie literarisch grundfalsch", erklärte PEN-Berlin-Sprecherin Eva Menasse.

Denis Yücel: "Weit von den eindeutig antisemitischen Zeichnungen entfernt"

Auch der zweite Sprecher Denis Yücel ergänzte: „Man kann die Darstellungen des Romans für treffend oder zu einseitig halten. Jedenfalls ist 'Eine Nebensache' weit von den eindeutig antisemitischen Zeichnungen entfernt, die auf der Documenta zurecht für Kritik sorgten. Und wir haben immer gesagt, dass die Freiheit des Wortes im Zweifel auch das dumme Wort umfasst, die Freiheit der Kunst auch jene der bescheuerten Kunst. Natürlich gibt es Grenzen. Aber um unverrückbare Grenzen zu ziehen und in eindeutigen Fällen wie bei Jubelfeiern für einen Massenmord in aller Deutlichkeit und gegebenenfalls vereins-, straf- und ausländerrechtliche Konsequenzen anzuwenden, muss diesseits dieser Grenze so viel wie möglich sagbar sein."

Das gelte für den Umgang mit dem Nahost-Konflikt wie für alle anderen kontroversen Themen. "Das etwas sagbar sein muss, bedeutet nicht, dass es außerhalb der Kritik steht. Die Buchmesse sollte der Ort sein, solche Debatten zu führen – und nicht, sie abzuwürgen", so Yücel.

Verbrechen aus dem Jahr 1949 steht im Zentrum des Romans

Shiblis Werk wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Im Zentrum des Romans steht ein Verbrechen aus dem Jahr 1949. Damals, kurz nach der Gründung des Staates Israel, hatte ein Trupp israelischer Soldaten im Grenzgebiet zu Ägypten ein Beduinen-Mädchen festgenommen. Es kam zu einer Massenvergewaltigung, das Mädchen wurde umgebracht und verscharrt.

2003 fanden israelische Journalisten Dokumente über das lange vergessene Verbrechen in Archiven und berichteten darüber in der Tageszeitung "Haaretz". Im ersten Teil des Romans wird das Verbrechen aus der Perspektive des israelischen Kommandeurs geschildert. Im zweiten Teil erzählt eine Palästinenserin aus Ramallah. Sie hat den Haaretz-Artikel gelesen und will nun selbst mehr herausfinden über das namenlose Mädchen. Der Anlass für die Erzählerin ist die "Nebensache" aus dem Titel des Buches: Das Verbrechen geschah auf den Tag genau 25 Jahre vor ihrer eigenen Geburt.

Debatte um Antisemitismus

Angesichts geplanten Preisverleihung auf der Frankfurter Buchmesse (18. bis 22. Oktober 2023) und unter dem Eindruck der aktuellen Ereignisse im Nahen Osten gab es aber zunehmend Kritik an ihrem Werk. Ein Beitrag in der Berliner"TAZ", warf Shibli vor, Israelis als anonyme Vergewaltiger und Killer zu zeichnen. Die palästinensische Gewalt gegen israelische Zivilisten aber käme in ihrem Roman nicht vor. Das sei die "ideologische und menschenverachtende Basis“ des Romans.

Vorwurf der BDS-Nähe

WDR-Journalist Ulrich Noller hatte die Jury des "LiBeratur-Preises" schon im Sommer aus Protest gegen die Preisverleihung an Adania Shibli verlassen. Noller warf dem Roman vor, er bediene "antiisraelische und antisemitische Narrative“. Der Berenberg Verlag, in dem Shiblis Roman auf Deutsch erschien, hat diese Vorwürfe zurückgewiesen. Sie seien "ebenso unhaltbar wie infam und am Text nicht zu belegen“. Ebenfalls in der TAZ wurde Adania Shibli ohne konkrete Belege vorgeworfen, "engagierte Aktivistin“ der Israel-Boykott-Bewegung BDS zu sein.

Der BDS wurde im Mai 2019 in einer Resolution des Deutschen Bundestags als antisemitisch eingestuft. Mehr als 60 jüdische und israelische Wissenschaftler, darunter renommierte Holocaust-Forscher, kritisierten die Resolution des Bundestages scharf und wandten sich gegen eine Gleichsetzung von BDS mit Antisemitismus.

Gegen die Resolution des Bundestages wandte sich 2020 auch eine Initiative öffentlicher Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen, darunter die Bundeszentrale für Politische Bildung, die Kulturstiftung des Bundes, das Wissenschaftskolleg zu Berlin, das Einsteinforum, die Berliner Festspiele und die Stiftung Humboldt Forum.

Unterschrift unter internationalen Protestbrief

Hintergrund für den BDS-Vorwurf gegen Adania Shibli in der TAZ ist offenbar ihre Unterschrift unter einen internationalen Protestbrief von 2019. Darin wurde gegen die Aberkennung des Nelly-Sachs-Preises der Stadt Dortmund für die britisch-pakistanische Autorin Kamila Shamsie protestiert. Shamsie war der Preis aberkannt worden, nachdem bekannt geworden war, dass sie BDS-nahe Positionen vertritt.

Den Protestbrief gegen diese Entscheidung der Dortmunder Jury hatten neben Adania Shibli etwa 250 Autoren aus aller Welt unterzeichnete, darunter viele jüdische Autoren aus Israel, den USA und Großbritannien. Zu den Unterzeichnern zählten neben Adania Shibli der Nobelpreisträger J.M. Coetzee, die Inderin Arundhati Roy, der US-amerikanische Pulitzerpreisträger Richard Ford, der Ire Colm Tóibín, Alexander Kluge, der Nelly-Sachs-Preisträger Michael Ondaatje, Irvine Welsh und Carles Torner, Executive Director des PEN International.