Mit voller Wucht prallt in der Nacht auf Freitag zwischen Köln und Aachen ein Güterzug auf einen Bauzug - drei Menschen werden verletzt, einer davon schwer. Wäre statt des Güterzugs ein voll besetzter Personenzug entgleist - das Unglück könnte noch viel dramatischer sein.
Bahn-Baustellen bringen Regelbetrieb durcheinander
Die genauen Ursachen für den Unfall sind noch nicht bekannt. Auffällig aber sei, dass ein Bauzug involviert war, ein Zug also, der dort wahrscheinlich sonst nicht unterwegs wäre, sagt Professorin Birgit Milius dem WDR.
Sie ist Leiterin des Fachgebiets für Bahnbetrieb und Infrastruktur an der TU Berlin, Präsidentin des Verbands Deutscher Eisenbahn-Ingenieure und Vorstandsmitglied der Allianz pro Schiene. Baustellen brächten den Regelbetrieb auf den Gleisen durcheinander, sagt Milius:
Doch sind sie deswegen nicht sicher? Eine Sprecherin der Bahn betont auf WDR-Anfrage, dass bei Baustellen die Sicherheit das oberste Gebot sei. "Baustellen sind in aller Regel geplant und werden entsprechend vorbereitet. Während einer Baumaßnahme gelten klare Regeln für den Betrieb."
Diese seien in einem Regelwerk vorgegeben und werden für jede Baustelle in einer Bau- und Betriebsanweisung individuell zusammengefasst und ausgestaltet.
Selten sind Bahn-Baustellen jedenfalls nicht. In den kommenden Jahren dürften es mit der von Bund und Bahn geplanten Schienensanierung im großen Stil sogar noch deutlich mehr werden.
Zusätzliche Arbeit für Zugverkehrssteuerer
Vermutlich ist schon jeder Bahnfahrende mal in einem Zug mit Schneckentempo an Schienenarbeitern vorbeigerollt. Welche Weiche dafür wann wie gestellt werden muss - dafür sind penible Planungen erforderlich, die jeder Baumaßnahme vorausgehen. Zuständig sind dafür Zugverkehrssteuerer, auch Fahrdienstleiter genannt.
Baumaßnahmen seien auch für die Zugverkehrssteuererinnen und Zugverkehrssteuerer eine besondere Arbeit, sagt Milius. Diese ganze Koordination komme zum Regelbetrieb mit all den Personen- und Güterzügen noch hinzu. Dabei sei die Arbeitsbelastung ohnehin schon hoch, Stellen seien unbesetzt. "Die Mitarbeitenden sind extrem ausgelastet", so Milius. Die Folge: Das Risiko für menschliche Fehler steige.
Gewerkschaft: "überdimensional große Verantwortung"
Genau wie etwa Lokführerinnen und Lokführer trügen Fahrdienstleiter "eine überdimensional große Verantwortung", sagt die Gewerkschaft GDL. Denn sie "arbeiten in Bereichen mit direkter Verantwortung für Menschenleben und hohen finanziellen Werten" - und das in einem "sehr belastenden oder gar unregelmäßigem Schichtdienst".
Auch bei den Fahrdienstleitern gebe es einen "jahrzehntelang anhaltenden" und "schlimmer werdenden Personalmangel", so die GDL. Ihre Forderung an den staatlichen Konzern: Entlastung und mehr Wertschätzung der Arbeitsleistung.
Die Bahn sei sich der Probleme bewusst, schreibt eine Sprecherin auf WDR-Anfrage. Die Stabilisierung der Besetzungssituation auf den Stellwerken gehöre zu den aktuell wichtigsten Maßnahmen der DB InfraGO.
Zugleich habe man bei der Personal- und Urlaubsplanung nachgesteuert und Bereitschaftsdienste eingeführt. "Zur Wahrheit gehört auch, dass es schwierig ist, Fachkräfte zu gewinnen und dauerhaft zu binden."
Viele stark veraltete Stellwerke
Das sei einer der Gründe, weshalb man die Leit- und Sicherungstechnik wesentlich schneller erneuern müsse. "Deutschland hat im europäischen Vergleich eine stark veraltete Stellwerkslandschaft." Bis 2027 sollen deswegen 200 alte, störanfällige Stellwerke erneuert werden.
Unsere Quellen:
- Professorin Birgit Milius, TU Berlin
- Sprecherin der Deutschen Bahn
- Nachrichtenagentur dpa
- WDR-Reporter am Unfallort zwischen Köln und Aachen
- Gewerkschaft der Lokführer (GDL): Offener Brief an den Vorstand der Deutschen Bahn
- Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung
Über dieses Thema berichten wir auch im WDR-Fernsehen: am 22.11.2024 um 18.45 Uhr in der Aktuellen Stunde.