So übermittelt eine Polizistin aus Wesel Todesnachrichten an der Tür

Stand: 24.11.2024, 06:00 Uhr

Sie klingeln und überbringen die schlimmste aller Nachrichten: dass das eigene Kind, die Partnerin, der Ehemann gestorben ist. Doch wie gehen Polizeibeamtinnen und Seelsorger dabei vor und wie ganz persönlich damit um?

Von Dorothea Schluttig

Bei der Polizei in Wesel gibt es eine speziell ausgebildete Beamtin, die Angehörigen die lebensverändernden Nachrichten überbringt. Sie muss den richtigen Ton finden - nach Totschlag, Suizid oder auch Autounfällen.

„Manchmal schweigt man einfach“

Laster rauschen vorbei, es ist eisig an der Landstraße, Nicole Domjahns Haar weht im Wind. Hier ist es passiert, schon vor einer Weile, doch sie erinnert sich, als wäre es gestern gewesen.

Ein 18-jähriger Traktorfahrer war von der Straße abgekommen: „Er ist noch am Unfallort gestorben, da schluckt man schon“, sagt die 49-jährige Polizeibeamtin. Sie kümmert sich um die, die leben. Es sind die Freunde des jungen Mannes, die im Traktor vor ihm gefahren sind – sie stehen unter Schock. 

Polizistin Nicole Domjahn betreut oft Angehörige von Unfallopfern auf Landstraßen | Bildquelle: WDR/Schluttig

„Man versucht zu unterstützen, Fragen zu beantworten, man legt auch schon mal die Hand auf den Arm und manchmal schweigt man einfach.“ Nicole Domjahn macht das schon seit acht Jahren, sie hat schon viel gesehen, doch gerade Fälle mit jungen Opfern gehen der Mutter von zwei Mädchen nahe.

„Meine Jacke ist die Schutzmauer meiner Seele“

Egal ob Unfall, Totschlag oder Suizid, häufig überbringt die Beamtin den Angehörigen die Todesnachricht auch Zuhause. Im Auto auf dem Weg dorthin überlegt sie schon, was sie wohl erwartet, sie weiß, sie kommt nie mit guten Nachrichten.

Doch sie ist nicht allein, vor der Tür der Angehörigen trifft sie Notfallseelsorgerin Kerstin Pekur-Vogt. Sie besprechen meist kurz, was passiert ist. Die Polizistin ist in zivil, die Notfallseelsorgerin wirft sich eine knallige lilafarbene Jacke über:

„Für mich ist das nicht immer einfach, ich bin sehr sensibel, meine Jacke ist die Schutzmauer für meine Seele.“ Kerstin Pekur-Vogt, Notfallseelsorgerin
Notfallseelsorgerin Kerstin Pekur-Vogt (l.) und Polizistin Nicole Domjahn beraten sich vor ihrem Einsatz | Bildquelle: WDR/Schluttig

Dann klingeln sie. Die Nachricht überbringen sie nicht direkt an der Tür. Ob man hereinkommen dürfe, fragen sie meist und ob die Person, die die Tür geöffnet hat, mit dem Opfer verwandt ist. Danach geht alles meist ganz schnell: „Wir kommen direkt auf den Punkt, wir schwafeln nicht, das macht es einfacher“, sagt Nicole Domjahn.

Die Reaktionen sind unterschiedlich, erklärt ihre Kollegin: „Manche schreien, weinen, manche schweigen oder wollen einfach nur weglaufen. Das Schlimmste war ein Mann, dessen Kind gestorben war, er hat immer wieder seinen Kopf gegen die Wand geschlagen.“ Sie bete dann für die Angehörigen, sagt die 53-Jährige Seelsorgerin und Mutter von vier Kindern.

Trost, wo es keinen gibt

Nach all den Jahren weiß auch Nicole Domjahn, was ihre Worte für Gefühle bei den Angehörigen auslösen. Doch es gibt immer wieder Momente, die besonders sind.

Wenn Kinder die Tür öffnen und man ihnen die Nachricht überbringen muss, sei es schwierig: „Einmal öffneten zwei Mädchen, 18 und 13 Jahre alt. Der Vater war bei einem Motorradunfall gestorben und wir haben ihnen dann gesagt, was passiert war. Das kleinere Mädchen hat so schlimm geweint, das war schon sehr ergreifend.“

Nicole Domjahn umarmt das Kind damals, versucht Trost zu spenden -  da, wo es letztlich keinen gibt.

Todesnachrichten – mehr Schulungen nötig

Doch wie verpackt man all das? Die Polizeibeamtin hat gelernt, wie sie die schlimmste aller Nachrichten überbringt. Einen Tag lang wurde die Opferbetreuerin geschult, hat Rollenspiele gemacht und die Ansprache der Angehörigen geübt. Sie tut das freiwillig, parallel zu ihrem regulären Job als Polizistin.

Ein Sonderfall, sagt Peter Elke, Dozent an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen. Längst nicht jede Wache habe solch speziell ausgebildete Kollegen, meist übernehme eine Führungskraft die Benachrichtigung der Angehörigen:

„Diese Aufgabe braucht viel Feingefühl, doch längst nicht jedem ist das in die Wiege gelegt worden. Umso wichtiger sind Schulungen auf breiter Ebene und ihre Finanzierung.“ Peter Elke, Dozent an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW

Auch die Gewerkschaft der Polizei begrüßt ein „Mehr“ an Trainings für Beamte, so der stellvertretende Bundesvorsitzende Michael Mertens. Er weist aber auch darauf hin: „Polizisten, die geschult werden, fehlen im Dienst. Da die ohnehin schon überlasteten Kollegen deren Arbeit kaum kompensieren können, geht dies nur mit mehr Personal.“

Innerer Abstand gegen das zu Grunde gehen

Nicole Domjahn hat inzwischen Feierabend. Ein Spaziergang zum Runterkommen tue ihr gut nach solchen Einsätzen, sagt sie. Sie hat sich über die Jahre ein dickes Fell wachsen lassen, damit sie das alles gut verpacken kann: „Man muss sich distanzieren, sonst geht man selbst zu Grunde“.

Dann steckt sie Kopfhörer in die Ohren und läuft los: „The Sound of Silence“ - das braucht sie an Tagen wie diesen.

Unsere Quellen:

  • WDR-Reporterin vor Ort
  • Gespräch mit Polizistin Nicole Domjahn
  • Gespräch mit Notfallseelsorgerin Kerstin Pekur-Vogt
  • Gespräch mit Dozent an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW Peter Elke
  • Gespräch mit dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei Michael Mertens

Über dieses Thema berichten wir am 24.11.2024 auch im WDR-Fernsehen, in der Aktuellen Stunde ab 18.45 Uhr.