Tarifbindung: Warum nur die Hälfte der Beschäftigten nach Tarifvertrag arbeitet

Stand: 02.06.2023, 21:27 Uhr

Gerade mal etwa die Hälfte aller Beschäftigten hierzulande arbeitet in einem Betrieb mit Tarifbindung. Damit liegt Deutschand europaweit lediglich auf Platz 18. Warum ist das so?

Von Matthis Jungblut und Jörn Seidel

Knapp die Hälfte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland war im vergangenen Jahr in einem tarifgebundenen Betrieb beschäftigt. Die Quote liege bei 49 Prozent, gab das Statistische Bundesamt am Freitag bekannt. Was bringt ein Tarifvertrag? In welchen Branchen und Bundesländern ist die Tarifbindung wie groß? Warum ist Deutschland in der EU nur Mittelmaß? Fragen und Antworten.

Was bringt ein Tarifvertrag?

Betriebe mit Tarifvertrag haben häufig deutlich attraktivere Arbeitsbedingungen für ihre Beschäftigten: Sozialleistungen wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld gehören dazu, ein häufig besserer Verdienst, kürzere Arbeitszeiten oder mehr Mitbestimmung im Unternehmen.

Zum Beispiel arbeiten laut einer Studie tariflos Beschäftigte im Durchschnitt wöchentlich fast eine Stunde mehr und verdienen etwa zehn Prozent weniger. Zwar gebe es auch tariflos Beschäftigte, die deutlich mehr verdienen als es der Tarifvertrag vorsieht, sagt Torsten Schulten vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Aber für die meisten Beschäftigten habe eine Anstellung nach Tarifvertrag mehr Vor- als Nachteile.

Professor Thorsten Schulten, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut | Bildquelle: Ulrich Baatz
"Für die, die eben nicht die Superqualifizierten sind - und das ist ja die breite Masse - für die sind in jedem Fall ein Tarifvertrag besser." Torsten Schulten, Forscher am WSI

In welchen Branchen und Bundesländern ist die Tarifbindung wie groß?

Vor allem kleinere und neu gegründete Betriebe haben oft keinen Tarifvertrag - am seltensten gibt es sie im Gastgewerbe, in der Kunst und Unterhaltungsindustrie sowie in der Landwirtschaft.

Am anderen Ende der Skala steht - wenig überraschend - die öffentliche Verwaltung mit hundertprozentiger Tarifbindung, ebenso sieht es bei den Sozialversicherungen aus. An Schulen sind es gut 80 Prozent. Es klafft in Deutschland also weit auseinander, wie die Beschäftigten eingebunden sind.

Gesamte Grafik anzeigen

Auch regional gibt es große Unterschiede. Berlin, Sachsen und Thüringen weisen die niedrigsten Tarifbindungen auf. In Bremen und im Saarland sind sie am höchsten. NRW liegt im Mittelfeld.

Gesamte Grafik anzeigen

Warum ist Deutschland in der EU nur Mittelmaß?

Im europäischen Vergleich hinkt Deutschland hinterher. Im Jahr 2018 lag die Bundesrepublik im Ranking nur im Mittelfeld. In den meisten EU-Staaten ist die Tarifbindung höher - das ist vor allem in vielen westeuropäischen Staaten so.

Gesamte Grafik anzeigen

WSI-Forscher Schulten begründet das so: "Die höhere Tarifbindung liegt daran, dass der Staat dort eine deutlich stärkere Rolle in der Unterstützung einnimmt. Ein wesentliches Instrument ist dabei die Allgemeinverbindlichkeitserklärung."

Dabei einigen sich die Gewerkschaften mit Arbeitgebern auf einen Tarifvertrag, und dann erklärt der Staat diesen Tarifvertrag auch für diejenigen Unternehmen in der Branche für gültig, die nicht im Arbeitgeberverband vertreten sind. Es profitieren dann also auch Arbeitnehmer von kleineren Unternehmen, die nicht von Arbeitgeberverbänden vertreten werden.