Schwarzfahrer können ins Gefängnis kommen: ein Bündnis will das ändern

Stand: 28.01.2025, 17:49 Uhr

Wer ohne gültigen Fahrschein erwischt wird, kann ins Gefängnis kommen. Die Initiative "Freiheitsfonds" und ein Bündnis aus Wissenschaftlern fordert, den entsprechenden Paragrafen im Strafgesetzbuch zu streichen. Ein Argument: Mit der aktuellen Regelung werde Armut bestraft.

Von Oliver Scheel

Wegen Schwarzfahrens ins Gefängnis? Das ist gar nicht so selten. Die Kriminologin Nicole Bögelein von der Uni Köln schätzt, dass etwa 8.000 bis 9.000 Schwarzfahrer pro Jahr in Haft kommen, weil sie die Strafe nicht bezahlen konnten. Denn Fahren ohne Ticket ist in Deutschland kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat.

Hinweisschild an Straßenbahn | Bildquelle: dpa

Dass Menschen für ein nicht gezahltes Ticket inhaftiert werden können, wird heftig kritisiert - in erster Linie von der Justiz, aber auch von Menschenrechtsorganisationen. Denn es sind meist mittellose Menschen, die im Gefängnis landen. Sie konnten das erhöhte Bußgeld für die Beförderung von meist 60 Euro nicht zahlen.

Der sogenannte "Freiheitsfonds" hat an diesem Dienstag wieder Menschen "freigekauft", die wegen Fahrens ohne Fahrschein im Gefängnis sitzen. Der "Freiheitsfonds" fordert die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens, denn die Betroffenen seien überwiegend arbeitslos. Auch ein Bündnis aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen fordert die Abschaffung von § 265a im Strafgesetzbuch.

Worum dreht sich diese Debatte? Und was würde sich ändern, wenn Schwarzfahren keine Straftat mehr wäre?

Hier gibt es Antworten auf diese Fragen:

Schwarzfahren - Limbach WDR Studios NRW 28.01.2025 05:36 Min. Verfügbar bis 28.01.2027 WDR Online

Worum geht es in § 265a StGB zum Schwarzfahren?

Fahren ohne Ticket ist in Deutschland eine Straftat. Dies regelt § 265a im Strafgesetzbuch. Der Täter erschleiche sich eine Beförderungsleistung, heißt es dort. Bis eine Person ohne Fahrschein tatsächlich im Gefängnis landet, vergeht viel Zeit. Zahlreiche Institutionen und Personen sind an diesem Prozess beteiligt.

Am Ende kann eine Geldstrafe stehen oder eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr. Diese Strafe wird "Ersatzfreiheitsstrafe" genannt. Die meisten Menschen, die im Gefängnis landen, können die Geldstrafe nicht bezahlen und müssen deshalb ins Gefängnis.

Das halten viele Forschende für völlig unangemessen. Deshalb unterzeichneten mehr als 120 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen einen offenen Brief an den ehemaligen Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), den Paragrafen 265a ersatzlos abzuschaffen. Mehrere Umfragen zeigten, dass eine Mehrheit der Deutschen sich wünscht, dass Schwarzfahren nicht mehr wie eine Straftat behandelt wird.

Keine Straftat mehr, sondern nur eine Ordnungswidrigkeit? Hilft das?

Tatsächlich gab es vor dem Ampel-Aus Bestrebungen, Fahren ohne Fahrausweis von einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit "herabzustufen". Doch das ändert wenig. Denn am Ende dieses Prozesses kann genauso eine Gefängnisstrafe stehen. Diese heißt dann nicht mehr "Ersatzfreiheitsstrafe", sondern "Erzwingungshaft".

Das macht es für die Betroffenen nicht besser, denn damit wird nicht einmal die Schuld getilgt. Man muss die Geldbuße also trotzdem noch bezahlen, obwohl man in Haft war.

Welche Folgen hätte eine Gesetzesänderung?

Im Endeffekt geht es bei der Forderung nach Abschaffung des § 265a um eine Entlastung des Justiz- und Verwaltungsapparats. Deshalb hatte auch NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) im August 2024 im Gespräch mit dem WDR gefordert, dass Schwarzfahren weder eine Strattat noch eine Ordnungswidrigkeit mehr sein sollte. Aber was dann?

Dann müssten die Verkehrsbetriebe wie alle Privatunternehmen das Geld selbst eintreiben - wie in jedem zivilrechtlichen Prozess. Das würde die Justiz enorm entlasten. Die Kriminologin Christine Graebsch von der FH Dortmund, die Mit-Verfasserin des offenen Briefes an den damaligen Justizminister Buschmann ist, sagte dem WDR, die Verkehrsbetriebe wälzten die Arbeit derzeit auf die Justiz ab.

Luise Klaus, Wissenschaftlerin am Institut für Humangeographie Goethe-Uni Frankfurt | Bildquelle: NOI CREW / Yoav Kedem

"Aktuell geben sie die Verfahren mit einer Strafanzeige aus der Hand", kommentierte Luise Klaus das Vorgehen der Verkehrsbetriebe im Gespräch mit dem WDR. Sie ist ebenfalls Mit-Verfasserin des offenen Briefes an den Verkehrsminister. Sie promoviert am Institut für Humangeographie der Goethe-Universität in Frankfurt und war früher wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Kriminologie der Ruhr-Universität Bochum.

Außerdem stehe die Haft nicht im Verhältnis zu den Kosten von 60 Euro für ein erhöhtes Beförderungsgeld, so Klaus. Ein Tag Haft kostet in Deutschland im Schnitt etwa 160 Euro - und die Betroffenen bleiben nicht nur einen Tag hinter Gittern. Genaue Daten fehlen hier allerdings. Klar ist aber: Die Kosten sind weit höher.

Wer wird durch die aktuelle Regelung zum Schwarzfahren bestraft?

Menschen, die bei der derzeitigen Regelung am Ende wirklich hinter Gitter landen, sind oft arbeitslos, mittellos und ohne festen Wohnsitz. Viele leiden unter Suchterkrankungen oder psychischen Erkrankungen.Humangeographin Luise Klaus spricht beim Paragrafen 265a daher von einer "Bestrafung von Armut".

"Die, die letztlich im Gefängnis landen, tun das nicht aus Zahlungsunwilligkeit, sondern weil sie das Geld schlicht nicht aufbringen können." Luise Klaus vom Institut für Humangeographie, Goethe-Uni Frankfurt

Eine Haft verbessere ihre Situation "in keinster Weise", so Klaus. Viele Betroffene berichteten von psychischen und physischen Problemen während der Haft - von Schlaflosigkeit und Panikattacken bis hin zu suizidalen Gedanken. "Eine schwerwiegende Folge kann auch der Wohnungsverlust sein."

Was sagen die Verkehrsbetriebe?

Die Verkehrsbetriebe hingegen erklären dazu: Die Beibehaltung des Straftatbestands für das Fahren ohne Fahrschein sei für sie "essenziell, um wirtschaftliche Schäden der Verkehrsbranche zu begrenzen, die Sicherheit der Beschäftigten zu gewährleisten und die Integrität des öffentlichen Verkehrssystems zu schützen." So heißt es, in einem Statement des Verkehrsverbunds Rhein-Sieg (VRS), das dem WDR vorliegt.

"Der Wegfall der Strafbarkeit könnte eine negative Signalwirkung hervorrufen, die die Quote der Fahrgäste ohne gültigen Fahrausweis möglicherweise deutlich erhöht." Verkehrsverbunds Rhein-Sieg

Durch die Einnahmeverluste könnten erhöhte Ticketpreise entstehen, so der Verbund.

Welche Lösungen sind möglich?

"Wenn Menschen nicht in der Lage sind, Tickets für den öffentlichen Personennahverkehr zu bezahlen, kann das Strafrecht nicht die Lösung sein", heißt es dagegen im offenen Brief der Wissenschaftler. Vielmehr brauche es eine Senkung der Fahrpreise oder die Ausgabe von Sozialtickets, um auch Menschen in prekären Lebenslagen die Teilhabe am ÖPNV zu ermöglichen. Da sieht man offenbar auch beim VRS so, der durch "gezielte Förderung weiterhin angemessene Tarife" etablieren möchte.

Auffällig war, dass während der Zeit des 9-Euro-Tickets die Zahl der Schwarzfahrer zurückgegangen war, zum Teil sogar sehr deutlich. In Wuppertal waren im Sommer 2022 etwa 80 Prozent weniger Menschen ohne gültigen Fahrschein unterwegs, berichtete die dpa.

Mehrere Städte, darunter Köln, Bonn, Münster und Düsseldorf, verzichten mittlerweile auf das Erstatten von Anzeigen. Dann kommt es auch nicht zur Strafverfolgung - und die Staatsanwaltschaft wird nicht eingeschaltet. Fahren ohne Ticket bleibt dann zwar nicht folgenlos, das anfallende Bußgeld wird aber mit zivilrechtlichen Mitteln eingetrieben.

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