Exklusiv: Erstmals Schmerzensgeldklage gegen das Erzbistum Köln

Stand: 05.08.2022, 06:26 Uhr

Der Kläger, der als Kind zehn Jahre lang von einem Priester missbraucht wurde, fordert 800.000 Euro vom Erzbistum Köln. Sein Vorwurf: Die Verantwortlichen hätten den Missbrauch verhindern können. Warum sein Entschluss wichtig für andere Betroffene ist.

Von Christina Zühlke

Die Beweislage scheint eindeutig. Denn der beschuldigte Priester Erich Jansen hatte seine Taten vor seinem Tod zugegeben: Schwerer Missbrauch und Vergewaltigung in mindestens 320 Fällen. Diese sind auch im sogenannten Gercke-Gutachten nachzulesen, das der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki selbst für das Erzbistum Köln in Auftrag gegeben hatte.

Georg Menne als Kind

Laut Georg Menne, dem Kläger, geht es aber auch um sadistische Quälereien. "Ich wurde bis auf die Unterhose ausgezogen, gefesselt, kalt abgeduscht. Das diente dazu, zu testen, wie weit ich mitgehe", sagt Menne. Davon gibt es Fotos: Der Anblick des abgelichteten Jungen, Menne als Kind, ist schwer zu ertragen.

Wer wusste von den Vorfällen?

Die Verbrechen geschahen in den 1970er Jahren und dauerten ein Jahrzehnt lang, obwohl der damalige Kölner Erzbischof Joseph Höffner und andere Verantwortliche schon von Vorwürfen gegen Jansen wussten. "Wenn sie ihn aus dem Verkehr gezogen hätten, wäre es nicht zu den Taten gekommen, die mir und anderen Kindern widerfahren sind", ist Menne überzeugt.

157 Seiten Klageschrift

Mennes Anwalt, Eberhard Luetjohann, habe die Vorbereitung der 157-seitigen Klage an seine Grenzen gebracht. Der Bonner Jurist ist sich sicher, dass die Kirche als öffentliche Institution verantwortlich für den Schutz der ihr anvertrauten Kinder sei. Deshalb könne man sie vor einem Zivilgericht verklagen, auch wenn der Täter nicht mehr lebe und die Taten eigentlich verjährt seien.

Denn im Fall der sogenannten Amtshaftung im Zivilprozess müsste die beklagte Institution, also die Kirche, selbst aktiv die Verjährung geltend machen. Das Gericht prüft sie nicht von Amts wegen. Das aber, sagt Mennes Anwalt, könne sich die Kirche moralisch nicht leisten. Denn auch bei den Anerkennungszahlungen für Betroffene beriefen sich die Bischöfe nicht auf Verjährung.

Viele Vorwürfe gegen die Kirche

Die Vorwürfe aus der Klageschrift: Die Kirche hätte Akten vernichtet, die Justiz behindert und ein System der Strafvereitelung errichtet. Luetjohann schreibt, dass die Kirche das Wort "Menschenrechte" generell meide. Weder im Gercke-Gutachten, noch in den Statements der Verantwortlichen der vergangenen Jahre finde sich dieses Wort.

Georg Menne steht an den Rhein-Terrassen. Im Hintergrund sieht man den Kölner Dom.

Georg Menne klagt gegen das Erzbistum Köln

Im Fall von Georg Menne hatte die Kirchen den Beschuldigten Priester erst 2014, 40 Jahre nach dem Missbrauch, bestraft, und zwar mit Berufsverbot, Entzug des Titels, Geldstrafe und der Auflage, sich Kindern nicht zu nähern. Für diejenigen, die ihn einsetzten, obwohl er bereits unter Verdacht geraten war, gab es keine Konsequenzen. Menne bekam bisher eine Anerkennungszahlung von 25.000 Euro. Das reiche nicht, sagt sein Anwalt.

Potenzieller Präzedenzfall

Schmerzensgeldzahlungen für eine Vergewaltigung liegen in Deutschland selten über 100.000 Euro. Würde man diese Summe auf die 320 Taten hochrechnen, sagt Anwalt Luetjohann, lande man im Millionenbereich – Spätfolgen des Missbrauchs noch nicht miteinberechnet. Das Urteil, das aus diesem Gerichtsprozess hervorgehen würde, würde somit zum Präzedenzfall für andere Betroffene.

George Menne steht an den Rhein-Terrassen. Im Hintergrund sieht man den Kölner Dom.

Seine Klage könnte zum Präzedenzfall werden

Menne berichtet von jahrelanger Therapie, Schlafstörungen, Migräne und Neurodermitis. Mittlerweile habe er einen Behindertengrad von 50 Prozent – laut seiner Ärzte sei das eine Folge des Missbrauchs. Menne rang jahrelang mit sich, ob er die Kirche wirklich verklagen wolle. Sein Anwalt glaubt, dass viele Betroffene nicht die Kraft haben, zu klagen. Vielen fehle auch die Information, dass eine Klage möglich ist, selbst wenn der Täter tot und die Tat verjährt sei.

Bischöfe müssen sich verantworten

Karl Haucke vom Betroffenen-Rat der Bundesregierung ist froh, dass Menne den Mut aufgebracht hat. Die Kirche könne dann nicht mehr mit ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten "rumhantieren", sagt er dem WDR und ergänzt: "Die Bischöfe müssen sich vor einem staatlichen Gericht verantworten. Das fordern wir Betroffenen schon lange.

Die Klageschrift liegt jetzt beim Landgericht Köln. Das Erzbistum wies auf WDR-Nachfrage darauf, dass es im Oktober 2021 weitere Betroffene des Priesters Jansen mit einem Aufruf gesucht habe. Auf Fragen nach den konkreten Vorwürfen aus Georg Mennes Klage antwortete das Bistum nicht. Es erklärt nur allgemein, dass es "jedem einzelnen Betroffenen die notwendige Hilfe und Unterstützung zukommen lassen" möchte.