WDR Programmschwerpunkt: Menschen aus dem postsowjetischen Raum in NRW

Aktuelle Stunde 22.02.2024 Verfügbar bis 22.02.2026 WDR Von Susanna Zdrzalek

Russischsprachige Menschen - wer sie sind und wie sie leben

Stand: 22.02.2024, 06:00 Uhr

In zwei Tagen jährt sich der russische Angriff auf die Ukraine zum zweiten Mal. Mit dem Krieg wurde auch das Leben von vielen Deutschen aus Russland hier bei uns schwieriger. Wer sind diese Menschen und wie leben sie?

Von Susanna Zdrzalek und Julian Budjan (Daten)

In Deutschland leben rund vier Millionen Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion oder ihren Nachfolgestaaten und ihre Nachkommen. Es sind Menschen wie Eugen und Tatjana Rihovski, die als Kinder Mitte der neunziger Jahre mit ihren Eltern und Großeltern aus Russland nach Deutschland umgesiedelt sind. Heute leben die beiden Gastronomen in Essen und haben zwei Kinder, sie fühlen sich als Deutsche, sind gut integriert, aber pflegen ihre russischen Wurzeln. Was zeichnet Menschen wie die Rihovskis aus und wie leben sie bei uns? 

Wer gehört zu den postsowjetischen Migranten?

Die größte Gruppe sind die russlanddeutschen Spätaussiedler (etwa 2,5 Millionen), gefolgt von jüdischen Kontingentflüchtlinge (rund 220.000), die vor allem in den neunziger Jahren nach Deutschland gekommen sind. Sie stammen überwiegend aus Russland und Kasachstan. Dort wurden sie als Menschen mit deutschem Migrationshintergrund oft diskriminiert und verfolgt. Zu den Migranten aus postsowjetischen Ländern gehören aber auch Menschen, die aufgrund von Erwerbsmigration, Familiennachzug oder Heirat nach Deutschland gekommen sind oder weil in ihrem Heimatland Krieg herrscht.

Was bedeutet der Begriff Spätaussiedler?

Spätaussiedler ist ein juristischer Begriff aus der deutschen Migrationspolitik. Gemeint sind damit Menschen, die in der Sowjetunion amtlich als Deutsche geführt wurden, obwohl sie sowjetische Staatsbürger waren. Meist handelt es sich um Nachfahren von Siedlern, die die Zaren im 18. bis 19. Jahrhundert aus deutschen Teilstaaten angeworben hatten, um eroberte Gebiete zu kolonisieren. Sie wurden in der Sowjetunion benachteiligt und unterdrückt. Viele wurden unter Stalin deportiert – also gegen ihren Willen und ohne Mitspracherecht umgesiedelt. 

Russischsprachige Menschen in Deutschland

WDR Studios NRW 22.02.2024 04:37 Min. Verfügbar bis 21.02.2026 WDR Online


Wo in Nordrhein-Westfalen leben die meisten Menschen aus postsowjetischen Ländern?

Am höchsten ist der Anteil postsowjetischer Migranten an der Bevölkerung in den ländlich strukturierten Gebieten von Nordrhein-Westfalen, vor allem im Regierungsbezirk Detmold und dort unter anderem in Paderborn, Minden-Lübbecke, Herford, Höxter und Waldbröl, wo hauptsächlich Russlanddeutsche leben. Ein Grund dafür könnten die freikirchlichen Gemeinden sein, die hier entstanden sind. Postsowjetische Juden leben eher in größeren Städten, etwa in Dortmund, Düsseldorf und Köln. 

Wie gut sind die Menschen aus dem post-sowjetischen Raum in Deutschland integriert?

Eine Untersuchung des Historikers Jannis Panagiotidis, der zu postsowjetischer Migration in Deutschland forscht, zeigt, dass sie recht gut integriert sind. Die Erwerbslosigkeit innerhalb der Gruppe ist recht niedrig, sie liegt unwesentlich höher als bei der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Viele gehören zur deutschen Einkommensmittelschicht. "Allerdings wird oft durch viel Arbeit in relativ schlecht bezahlten Jobs ein auskömmliches Einkommen erzielt", so Panagiotidis.

Ira Peter- Russlanddeutsche in Deutschland

WDR Studios NRW 22.02.2024 05:53 Min. Verfügbar bis 21.02.2026 WDR Online


Ein Bericht des Sachverständigenrates Migration und Integration von 2022 zeigt, dass Menschen mit Spätaussiedler-Hintergrund deutlich mehr Kontakte zu Deutschen ohne Migrationshintergrund pflegen als andere Zugewanderte. 74 Prozent sprechen überwiegend Deutsch im Familien- und Freundeskreis. Nur etwa ein Viertel spricht überwiegend Russisch.

Wie ist die Mediennutzung von Menschen mit postsowjetischen Wurzeln?

In einer WDR-Befragung unter 440 Menschen mit Einwanderungsgeschichte aus Russland, der Ukraine und Kasachstan gaben die Befragten an, hauptsächlich deutsche Medien zu nutzen. Ihr Vertrauen in die Medien war aber geringer als bei anderen migrantischen Gruppen. "Die Leute wollen eine stärkere Sichtbarkeit der eigenen Lebenswelten", fasst Iva Krtalic, WDR-Beauftragte für Integration und Diversity of Content, die Befragungs-Ergebnisse zusammen. "Viele Befragte empfinden es als problematisch, wie sie in den Medien dargestellt werden und sehen ihre Integrationsleistung nicht gewürdigt."

Unsere Quellen:

• Jannis Panagiotidis: „Postsowjetische Migration in Deutschland: Eine Einführung“ (2020)
• Edwin Warkentin, Kulturreferat am Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte
• Studie des Sachverständigenrats für Integration und Migration (2022)
• WDR-Studie zu Mediennutzung und -bewertung unter Menschen mit Einwanderungsgeschichte aus Russland, der Ukraine und Kasachstan (2023)
• "Mikrozensus 2022" Statistisches Bundesamt

Über dieses Thema berichten am 22.02.2024 auch das WDR 5 Morgenecho und die Aktuelle Stunde im WDR Fernsehen.

Redaktioneller Hinweis: In einer ersten Fassung dieses Textes stand, dass in Deutschland rund 3,5 Millionen Menschen und ihre Nachkommen aus der ehemaligen Sowjetunion oder ihren Nachfolgestaaten leben. Diese Zahl ging aus dem Mikrozensus 2019 hervor. Im neueren Mikrozensus für 2022 werden rund vier Millionen Menschen ausgewiesen. Wir haben das entsprechend im Text angepasst.