Festnahmen in Castrop-Rauxel: Warum kam der Tipp schon wieder aus den USA?

Stand: 09.01.2023, 13:38 Uhr

Nach der Festnahme von zwei Terrorverdächtigen in Castrop-Rauxel sind noch viele Fragen offen. Wie weit waren die Pläne fortgeschritten? Und welche Rolle spielten US-Geheimdienste?

Von Andreas Poulakos

Zwei Brüder mit iranischer Staatsbürgerschaft aus Castrop-Rauxel sollen einen islamistisch motivierten Anschlag vorbereitet haben. Dazu sollen sie versucht haben, verschiedene Giftstoffe zu beschaffen. Bei der Durchsuchung der Wohnung eines Beschuldigten in der Nacht zu Sonntag wurde laut Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf zunächst kein Gift gefunden.

Die Suche wurde am Montag fortgesetzt: Unter anderem richtete sich der Fokus der Ermittler auf zwei Garagen, die von einem der Verdächtigen genutzt werden. Auch dort wurde kein Gift entdeckt. Die beiden Brüder sitzen mittlerweile in Untersuchungshaft.

Wie konkret waren die mutmaßlichen Anschlagspläne? Wie sind die Ermittler auf die Verdächtigen aufmerksam geworden? Ist Deutschland bei der Terrorabwehr gut genug aufgestellt? Warum kam der entscheidende Tipp erneut aus den USA? Fragen und Antworten.

Um welche Gifte geht es?

Nach Angaben der Ermittler haben die Verdächtigen mindestens versucht, sich die beiden Giftstoffe Cyanid und Rizin zu beschaffen. Rizin wird aus den Samen der Rizinuspflanze hergestellt. Diese Samen sind - zumindest in kleineren Mengen - frei verkäuflich. Je nach Konzentration kann der Stoff innerhalb weniger Stunden tödlich wirken.

Rizin

Rizin wird laut dem Robert Koch-Institut in der Kriegswaffenliste unter "Biologische Waffen" aufgeführt. Es wird aus den Samen der Rizinuspflanze hergestellt, die auch als Wunderbaum bekannt ist. Es ist zwar kompliziert, aus den Rizinussamen das Gift zu gewinnen - gelingt es jedoch, kann dies hochgefährlich werden. Je nach Art der Aufnahme ist die Wirkung tödlich - und zwar bereits nach 36 bis 72 Stunden.

Die Symptome einer Vergiftung reichen von Kopfschmerzen über Krämpfe bis hin zu Leber- und Nierenversagen. Dabei sind die Inhalation und das direkte Eindringen des Toxins in den Körper wie etwa durch Stich- oder Schnittverletzungen besonders gefährlich. Ein spezifisches Gegenmittel gibt es nicht, die Behandlung erfolgt immer symptomatisch. Ansteckend ist eine Rizin-Vergiftung nicht.

Cyanid ist ebenfalls hochgiftig und bereits in kleinste Mengen für den Menschen tödlich. Theoretisch sind Cyanide wie Zyankali in Apotheken erhältlich, weil sie zum Beispiel auch bei der Reinigung von Goldschmuck oder der Schädlingsbekämpfung eingesetzt werden. Allerdings ist die Abgabe streng reguliert.

Cyanid

Cyanide - vor allem das als Zyankali bekannte Kaliumcyanid - werden schon seit langer Zeit für gezielte Vergiftungen verwendet. Sie wirken nicht nur bei Verschlucken, sondern auch nach Einatmen über die Lunge. Beim Kontakt von Cyaniden mit Wasser entsteht Blausäure (Cyanwasserstoff), die für ihren typischen Bittermandelgeruch bekannt ist. Die Atemgifte wirken sehr schnell, die Opfer sterben an Atemlähmung.

Cyanide werden unter anderem zur Härtung von Stahl, bei der Kunststoffherstellung und bei der Synthese organischer Verbindungen eingesetzt. Cyanverbindungen führen immer wieder zu Massensterben von Fischen und anderen Wasserlebewesen, wenn sie etwa aus Bergwerken in Gewässer gelangen. Zu Vergiftungen beim Menschen kann es etwa nach dem Verzehr von Bittermandeln oder Aprikosenkernen kommen. Es gibt auch ungiftige Cyanide, die unter anderem als Lebensmittelzusatz verwendet werden.

Wie weit waren die mutmaßlichen Anschlagspläne fortgeschritten?

Das ist noch unklar - bis zum Montagmittag konnten die Ermittler keine Giftstoffe finden. Es ist möglich, dass die Anschlagsplanungen noch in einem relativ frühen Stadium waren. In einer Mitteilung vom Montag erklärte die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf wörtlich, dass die Verdächtigen sich die Giftstoffe "beschaffen wollten" - ob sie es tatsächlich geschafft haben, ist also noch nicht geklärt.

Könnten sich die Vorwürfe auch noch in Luft auflösen?

Ganz ausgeschlossen ist das nicht. "Wir haben es in der Vergangenheit immer wieder mit Personen zu tun gehabt, die im Internet oder radikalislamischen Foren mit solchen Taten geprahlt haben", sagte ARD-Terrorismusexperte Michael Götschenberg am Montag dem WDR. In einigen Fällen habe sich das als reine "Wichtigtuerei" herausgestellt.

Dagegen spreche, dass mittlerweile Haftbefehl gegen die beiden Verdächtigen erlassen wurde. Das könne ein Hinweis sein, dass die Ermittler noch andere Beweise für einen geplanten Anschlag gefunden haben, so Götschenberg.

Wie sind die Ermittler auf die Verdächtigen aufmerksam geworden?

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte: "Wir hatten einen ernstzunehmenden Hinweis, der die Polizei dazu veranlasst hat, noch in der Nacht zuzugreifen." Die Information sei von einer US-amerikanischen Sicherheitsbehörde gekommen, erklärte am Sonntag ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft. Medienberichten zufolge soll der entscheidende Tipp vom FBI gekommen sein.

Innenminister Herbert Reul (CDU) | Bildquelle: Rolf Vennenbernd / dpa

Wie genau die Behörden den beiden Männer auf die Spur gekommen sind, dazu gibt es keine Informationen. Erfahrungsgemäß sind die US-Geheimdienste aber bei der Überwachung von verdächtigen Online-Aktivitäten auf der ganzen Welt gut aufgestellt. Allerdings könnte der Tipp auch zum Beispiel von Kontaktpersonen in der islamistischen Szene gekommen sein.

Warum kommen solche Tipps immer wieder von ausländischen Geheimdiensten?

Seit den Anschlägen am 11. September 2001 haben speziell die US-Geheimdienste ihre Überwachung von terroristischen Gruppen massiv ausgeweitet. Weltweite Datenströme werden dazu gezielt nach verdächtiger Kommunikation und Online-Aktivität durchsucht. Den Ermittlern stehen dabei modernste technische Hilfsmittel zur Verfügung, mit denen auch verschlüsselte Nachrichten gelesen werden können. "Wenn Personen sich für Giftstoffe interessieren und das im Zusammenhang mit Recherchen zum Bau einer Bombe, dann fällt das amerikanischen Sicherheitsbehörden auf", betont Terrorismusexperte Götschenberg.

Hinzu kommt, dass der Datenschutz in den USA keinen besonders hohen Stellenwert hat: Telefongesellschaften und Internetprovider müssen den Behörden auf Antrag ihre Daten offenlegen. Auch die rechtlichen Hürden für das Abhören von Telefongesprächen sind viel niedriger als in Deutschland und Europa.

Deutschland sei bei der Terrorismusbekämpfung nach wie vor sehr abhängig von Amerikas Geheimdiensten, sagte Terrorismusexperte Peter Neumann vom Londoner King's College dem WDR. "Eigentlich sollte das die Konsequenz haben, dass man hier in Deutschland selbst versucht, solche Fähigkeiten aufzubauen, um diese Abhängigkeit zu verringern."

Wird der Datenschutz in Deutschland zu streng ausgelegt?

Das zumindest ist immer wieder aus Ermittler-Kreisen zu hören - nicht nur bei der Terrorbekämpfung sei das ein Problem, sondern auch beim Kampf gegen die Verbreitung von Kinderpornographie. Am Montag forderte NRW-Innenminister Reul im WDR die Bundesregierung dazu auf, endlich eine Entscheidung zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung zu treffen: "Wichtig ist ja, dass man frühzeitig weiß, wer da was plant oder wer mit wem Kontakt hat", sagte Reul.

Der Europäische Gerichtshof hatte im September die bisherige deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung gekippt. Die verdachtsunabhängige Speicherung nur von IP-Adressen für Ermittlungen wäre dem Urteil zufolge aber weiter möglich. Eine Entscheidung steht bisher aus.

Gab es schon vergleichbare Fälle in Deutschland?

Wie gefährlich Rizin ist, zeigt ein Fall aus Köln im Jahr 2018: In einer Hochhaussiedlung im Stadtteil Chorweiler hatten ein Tunesier und seine deutsche Frau versucht, eine Rizin-Bombe für einen Anschlag herzustellen. Ein ausländischer Geheimdienst schöpfte wegen der Online-Käufe großer Mengen Rizinus-Samen Verdacht und gab den deutschen Ermittlern einen Tipp. Beide wurden zu langen Haftstrafen verurteilt.

Über dieses Thema berichten wir auch am Montag um 18.45 Uhr in der "Aktuellen Stunde" im WDR-Fernsehen.