Der Tag nach dem AfD-Parteitag in Essen: Im Stadtteil Rüttenscheid ist wieder Ruhe eingekehrt, hunderte Polizei-Einsatzwagen sind wieder abgezogen. Mittlerweile hat die Polizei alle Meldungen über Vorfälle ausgewertet. Sie spricht davon, dass der überwiegende Teil der Proteste friedlich verlaufen sei.
143 Strafanzeigen gegen Störer
Doch leider sei es auch zu gewalttätigen Störaktionen gekommen, bilanziert die Polizei. Sie fertigte insgesamt 143 Strafanzeigen. Die meisten Strafanzeigen gab es wegen Angriffen auf Polizisten, zum Beispiel als Demonstranten versucht hatten, eine Absperrung zu durchbrechen.
Weitere Anzeigen wurden wegen Widerstands gegen Polizeibeamte, Landfriedensbruchs und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz geschrieben. Bei ihren Einsätzen ging die Polizei nach eigenen Angaben konsequent vor und setzte unter anderem Pfefferspray und Schlagstöcke ein. 22 Personen wurden in Gewahrsam genommen, zwei weitere vorläufig festgenommen.
Kritik von Gegendemonstranten
Die Initiative „Widersetzen“ kritisierte das ihrer Ansicht nach zu harte Vorgehen der Polizei, vor allem gegen Aktionen des zivilen Ungehorsams wie etwa Sitzblockaden. Die Initiative wertet derzeit noch sämtliche Vorfälle aus. Die Ermittlungen der Polizei gehen zunächst weiter, die Staatsanwaltschaft entscheidet dann über eine Anklage.
Bereits am Sonntag zogen die Bündnisse "Gemeinsam Laut" und "Widersetzen" auf einer Pressekonferenz eine erste Bilanz. Sie zeigten sich mit den Protesten zufrieden und gehen von 70.000 Teilnehmenden aus. Es sei "so ein Glücksgefühl, dass sich so viele Menschen den Protesten angeschlossen haben" sagte Linda Kastrup von "Gemeinsam Laut". Mit 70.000 hätten mehr Menschen protestiert als die AfD Mitglieder hat, fügte sie hinzu.
Von den gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei distanzieren sich die Bündnisse: "Wenn es Gewalt gegeben hat, kam das nicht von uns", sagte Alassa Mfoupan ein Sprecher von "Widersetzen". Essen sei für das Bündnis nur der Anfang. Die Proteste gegen die AfD sollen weitergeführt werden. Jetzt spüre er endlich nicht mehr diese Ohnmacht, fügte Alassa Mfoupan hinzu.
Mahnwache am zweiten Tag des AfD-Parteitags
An Tag zwei hatte sich am Morgen eine Mahnwache vor der Grugahalle aufgestellt. Das Bündnis "Gemeinsam Laut" hatte dazu aufgerufen, um wieder gegen den Bundesparteitag der AfD zu protestieren.
Bei Regen kamen etwa 100 Menschen zur Grugahalle. "Ich kann mir vorstellen, bei dem schäbigen Wetter, dass viele nicht nochmal kommen“, sagt Wolfgang Freye, ein Sprecher des Bündnis "Gemeinsam Laut". Nach drei Stunden wurde die Mahnwache dann aufgelöst - weitere Proteste waren nicht mehr geplant.
Mahnwache auch vor der Polizei
Spontan hatten sich auch vor dem Polizeipräsidium einige Menschen zu einer Mahnwache aufgestellt. Sie solidarisierten sich mit denen, die am Samstag bei den Auseinandersetzungen in Gewahrsam genommen wurden.
Laut Polizei wurden bis zum Sonntagabend noch einige festgehalten. "Zur Gefahrenabwehr und zur Identitätsfeststellung", sagte Polizeisprecherin Christina Reineke. Sie waren zum Teil an den massiven Ausschreitungen gestern beteiligt, bei denen 28 Polizisten leicht und einer schwer verletzt worden war.
Polizei blickt vor allem auf friedliche Proteste
Insgesamt sei das Wochenende mit allen Protesten für die Einsatzkräfte eine Herausforderung gewesen. Aber "der Großteil der Versammlungsteilnehmer hat ruhig und friedlich ganz im Sinne der Demokratie demonstriert", sagte Polizeisprecherin Sylvia Czapiewski.
AfD verurteilt Proteste und Boykott
Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel verurteilte die Proteste außerhalb der Grugahalle scharf. Sie hätten nichts mit Demokratie zu tun, weil sie sich gegen eine demokratische Partei richten würden. Sie kritisierte, dass auch Parteien wie CDU, Linke und die grüne Jugend zum Beispiel zu Boykotten und Protesten aufgerufen hätten: "Damit wenden sie sich gegen die Grundregeln unserer Demokratie und gegen unsere Verfassung," sagte Weidel am Samstag auf dem Parteitag.
Wadenbiss und Spuckattacke
Bei den Blockaden gegen die AfD-Delegierten am Samstag war es auch zu Zwischenfällen mit dem AfD-Politiker Stefan Hrdy aus Neuss gekommen. Er soll laut Bündnis "Gemeisam Laut" eine Teilnehmende bespuckt und einem Demonstranten in die Wade gebissen haben. Er selbst bestätigte den Wadenbiss in der BILD-Zeitung und begründete den Vorfall mit Notwehr: "dann kam ein Tritt von rechts, ich konnte ein bisschen ausweichen, habe mich dann in das Bein verklammert und zugebissen, damit ich nicht noch einen Tritt abbekomme." In diesem Moment hätten Polizeibeamte eingegriffen. Hrdy sagt, dass er noch Anzeige erstatten wolle.
Unsere Quellen:
- Polizei Essen
- WDR-Reporterin vor Ort
- Bündnisse "Gemeinsam Laut" und "Widersetzen"
- AfD-Delegierter Stefan Hrdy
Über dieses Thema berichtet der WDR am 30.06.2024 auch im Radio auf WDR2 und im WDR Fernsehen.