Eine Torte mit drei Kerzen. Ein Geburtstagsständchen. Die Party zu ihrem 103. Geburtstag findet am Freitag noch im Ruhrgebiet statt, doch Tamara Butenko sitzt auf gepackten Koffern. "Ich will einfach nur nach Hause, das ist mein größtes Geschenk", sagt die Jubilarin. Am Samstag sollte die Reise zurück in die Ukraine los.
Flucht aus Kriegsgebiet
Vor fast genau zwei Jahren floh sie aus Charkiw, aus dem schwer umkämpften Osten der Ukraine, zu ihrer Enkelin nach Mülheim. Praktisch in letzter Minute. "Es war schrecklich", erinnert sich Enkelin Olga. "Unsere Großmutter harrte im Flur ihrer Wohnung aus, während draußen die Bomben fielen. Es gab kaum etwas zu essen, keinen Strom, keine Heizung und draußen waren es 15 Grad minus."
Tamara Butenko hatte bis zuletzt geglaubt, es würde ihr nichts passieren. Doch dann explodierte eine Bombe im Wohnblock gleich nebenan. Da begriff auch die damals schon Hundertjährige, dass sie fort musste.
30 Stunden auf der Flucht
Mit nur einem Koffer floh sie sehr beschwerlich mit ihrer Tochter per Bus und Bahn, kam nach dreißigstündiger Reise bei Enkelin und Schwiegersohn an, die in Mülheim ein Restaurant betreiben. So landete die Frau im Ruhrgebiet, weit weg von der Heimat.
Wenn sie Heimat sagt, meint sie Charkiw. Dabei ist sie strenggenommen eigentlich Russin, geboren in Kursk 1921. Doch die Ukraine wurde ihr "wahres Zuhause", wie sie sagt. Schon einmal überstand sie dort einen großen Krieg, als Krankenschwester an der Front.
Butenko ist Veteranin
Vielen Soldaten rettete sie persönlich das Leben, wurde später als Veteranin mit zahlreichen Orden ausgezeichnet. "Der Zweite Weltkrieg war eine Katastrophe, doch das jetzt ist noch schlimmer", sagt Tamara Butenko. "Damals konnte ich etwas aufbauen. Das will ich nun wieder tun."
Sie gibt nicht auf - mit 103 Jahren. Sie will sich "nützlich machen", vor allem den Jugendlichen ihrer Stadt Hoffnung geben. Denn die hat sie. Butenko glaubt fest, dass Putin diesen Krieg nicht gewinnen kann. Für den russischen Regierungschef empfindet sie nur noch Hass. "Der gibt nicht auf. Aber wir sind stärker!"
Familie macht sich Sorgen
Das ersehnte Kriegsende könnte sie in Mülheim abwarten - in Sicherheit - bei Enkelin Olga und den Urenkeln. "Wir sind nicht begeistert, haben immer wieder versucht, ihr klar zu machen, dass sie nicht zurück kann in diese zerstörte Stadt", seufzt Olga. Und so erfüllen sie der 103-Jährigen ihren vielleicht letzten großen Wunsch. Obwohl rund um Charkiw gekämpft wird.
Ihre Wohnung steht noch
Ihre Wohnung dort steht noch, drumherum aber sind viele Häuser zerstört. In ihrer Wohnung will sie dann wieder alleine leben, betreut von Enkelin Katja, die in der Stadt ausharrt. Wieder wird die Reise mit Bus und Bahn in den Osten der Ukraine rund 30 Stunden dauern.
Gekommen ist Tamara Butenko mit nur einem kleinen Koffer, zurück nach Hause geht sie mit deutlich mehr Gepäck. Und einer ordentlichen Portion Hoffnung.
Unsere Quellen:
- WDR-Reporter vor Ort