Richtig lüften bei Hitze: Warum es komplizierter ist als gedacht

Stand: 30.07.2024, 06:00 Uhr

Wann und wie sollte man an heißen Tagen lüften? Nur morgens und abends? Experten streiten. Worauf es beim Lüften an heißen Tagen wirklich ankommt - die wichtigsten Faktoren im Überblick.

Von Jörn Seidel

Lässt man bei Hitze die Fenster offen oder geschlossen? Über diese Frage lässt sich vortrefflich streiten. Im besten Fall ist es eine Frage des Geschmacks - im schlimmsten eine über Leben und Tod.

In diesem Artikel widmen wir uns folgenden Aspekten rund ums Lüften bei Hitze:

Bei Hitze sterben mehr Menschen

Tatsächlich ist an heißen Tagen Schutz gefragt. Auch in NRW zeigt sich: In Hitzewellen sterben mehr Menschen als sonst. Zwar schwankt die Zahl der jährlichen Hitzetage, also solchen mit 30 Grad und mehr. Aber der Trend ist klar: Durch den Klimawandel ist damit zu rechnen, dass es in Zukunft mehr Hitzetage geben wird. Werden also auch mehr Menschen sterben?

Medizinerin Alina Herrmann | Bildquelle: DEGAM / Antje Boysen

"Während einer Hitzewelle sind die wenigsten Todesfälle auf einem Hitzschlag zurückzuführen, also auf die Folgen einer Körpertemperatur von mehr als 40 Grad", sagt Medizinerin Alina Herrmann dem WDR. Sie forscht an den Unikliniken Köln und Heidelberg im Bereich Klima und Gesundheit. "Bei Hitze sterben die meisten Menschen an einem Herzinfarkt, Schlaganfällen, Atemwegserkrankungen, Nierenversagen oder Komplikationen einer Zuckerkrankheit."

Auch für viele andere Menschen bedeutet Hitze Last und Leid. Es gibt zahlreiche Tipps, wie man sich davor schützen kann. Einer davon: richtig lüften! Aber wie?

Fachleute streiten übers Lüften bei Hitze

Selbst Expertinnen und Experten streiten darüber. Lüften solle man nur morgens und abends - und tagsüber die Fenster geschlossen halten, raten unter anderem die Weltgesundheitsorganisation, das Umweltbundesamt und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

Meteorologe Jörg Kachelmann | Bildquelle: dpa / Sebastian Willnow

Den Schweizer Wetter-Experten Jörg Kachelmann regt dieser Ratschlag auf: Das sei "aktive Sterbehilfe", schreibt er beim sozialen Netzwerk X. Damit halte man Menschen von Frischluft fern und lasse sie zudem in hoher Luftfeuchtigkeit leiden. Stattdessen solle man gerade bei Hitze die Fenster öffnen. "Folgen Sie Ihrem Instinkt, bevor Sie halbtot sind", sagt er dem WDR.

WDR-Meteorologe Jürgen Vogt | Bildquelle: Annika Fußwinkel

Auch WDR-Meteorologe Jürgen Vogt ist überzeugt: Besser man habe zu warme Luft, als dass sie zu viele Schadstoffe enthalte. In südlichen Ländern seien offene Fenster gang und gäbe, auch weil der Luftzug den Schweiß besser verdampfen lasse und dem Körper somit helfe, seine Temperatur zu regulieren.

Fragt man in der zuständigen Fachabteilung des Umweltbundesamtes nach, ist die Empfehlung zum Lüften weitaus komplexer als jene, die die Behörde auf ihrer Webseite gibt. So war es auch beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. Nach WDR-Anfrage entschied man sich dort aber, die Tipps auf der Website zu ändern. Nun sind sie ein wenig komplexer.

Denn wann man lüften sollte, hängt bei genauerer Betrachtung von vielen Faktoren ab, vor allem von den folgenden.

Richtig lüften bei Hitze - davon hängt es ab:

1. Wie warm ist es draußen und drinnen?

Grundsätzlich sei es sinnvoll, Räume und damit sich selbst vor Hitze zu schützen, also bei hohen Außentemperaturen nicht gleich die Fenster zu öffnen, sagt Medizinerin Herrmann. Entscheidend sei der Temperaturunterschied zwischen draußen und drinnen und zur normalen Körpertemperatur, die bei etwa 37 Grad liegt. Ist die Luft draußen 38 Grad heiß und drinnen 29, dann sei es durchaus empfehlenswert, die Fenster und Türen noch geschlossen zu halten.

Spätabends, nachts und frühmorgens ist es in der Regel deutlich kühler als tagsüber. Wer dann lüftet und später die Fenster schließt und verschattet, kann es tagsüber drinnen kühler haben als draußen. Ob das sinnvoll ist, hängt aber auch von anderen Faktoren ab, vor allem von den Schadstoffen in der Luft. Deshalb empfiehlt Wetter-Experte Kachelmann - anders als Herrmann - bei Hitze auch tagsüber die Fenster zu öffnen.

Wer eine Klimaanlage hat, braucht zwischendurch nur dann zu lüften, falls diese keine Frischluftzufuhr hat.

2. Was für Räumlichkeiten hat man?

Die jeweilige Situation sei entscheidend, das sagt wie Medizinerin Herrmann auch Humanökologe Hans-Guido Mücke von der Abteilung Umweltmedizin und gesundheitliche Bewertung beim Umweltbundesamt. Unter anderem hänge die Frage nach dem richtigen Lüften von den Räumlichkeiten ab.

Wer sich zu zweit in einem großen Haus bei geöffneten Zimmertüren aufhalte, müsse nicht so schnell lüften wie ein Mensch, der den ganzen Tag in einem kleinem Altenheim-Zimmer sei, sagt Mücke. Wer zum Flur hin lüften kann, müsse erst später die Fenster öffnen und könne heiße Außenluft somit länger draußen lassen.

3. Wie viele Menschen nutzen einen Raum?

Chemikerin Kerstin Effers von der Verbraucherzentrale | Bildquelle: WDR/Verbraucherzentrale NRW

"An heißen Tagen besteht ein Interessenskonflikt zwischen Hitzeschutz und Innenraumlufthygiene", sagt Kerstin Effers, Referentin für Umwelt und Gesundheitsschutz bei der Verbraucherzentrale NRW, dem WDR. Wird ein Raum von mehreren Menschen genutzt, "muss unbedingt zwischendurch gelüftet werden". Ansonsten könne die Kohlendioxid-Konzentration zu stark ansteigen. 

Regelmäßiges Lüften sei bei mehreren Menschen im Raum auch mit Blick auf Viren und andere Krankheitserreger sinnvoll, sagt Christof Asbach, Präsident der Gesellschaft für Aerosolforschung, dem WDR. Ansonsten steige deren Konzentration in der Luft an - und damit die Ansteckungsgefahr.

4. Welche besonderen Schadstoffquellen gibt es vor Ort?

Aerosolforscher Christof Asbach | Bildquelle: dpa/Rolf Vennenbernd

"Befinden sich im Innenraum Schadstoffquellen, zum Beispiel Kerzen oder Zigaretten, so ist regelmäßiges Lüften immer sinnvoll", sagt Aerosolforscher Asbach, "denn diese Quellen führen dazu, dass die Luft im Innenraum in der Regel deutlich schlechter ist als draußen."

Kerstin Effers von der Verbraucherzentrale rät vor allem dann zu einen ausreichenden Luftwechsel, wenn durch hohe Temperaturen Inventar oder Altlasten im Haus "ausgasen", die zum Beispiel Holzschutzmittel und Stoffe wie PCB und PAK enthalten. Zum Teil können sie Krebs auslösen.

Andererseits seien auch die Schadstoffe in der Außenluft zu bedenken, zum Beispiel an großen Straßenkreuzungen oder in der Nähe von Flughäfen, sagt Asbach. Dies könne ein Argument sein, weniger zu lüften.

5. Himmelsrichtung der Fenster

Entscheidend für die Frage, ob und wann man lüften sollte, sei auch die Himmelsrichtung der Fenster, sagt Hans-Guido Mücke vom Umweltbundesamt. Bei direkter Sonneneinstrahlung sollten Fenster besser geschlossen und verschattet sein, sofern dem nicht andere Faktoren dringend widersprechen. Denn die solare Strahlung, die an die Scheiben und ins Zimmer fällt, heize die ohnehin schon heiße Luft noch mehr auf. 

Um die heißen Sonnenstrahlen abzuhalten, sei übrigens eine Außenverschattung am besten, sagt Mücke, also Fensterläden, Rolläden, Außenjalousinen oder Tücher draußen vor den Scheiben. Aber auch eine Innenverschattung durch Gardinen, Rollos und Jalousinen helfe dabei, Hitze fernzuhalten.

Fenster kippen oder stoßlüften?

Über die Art des Lüftens sind sich die Fachleute ebenfalls nicht einig. Es ist eine Frage der Perspektive: Damit von draußen tagsüber nicht zu viel heiße Luft reinkommt, empfiehlt Medizinerin Herrmann, Fenster lediglich zu kippen.

Ein gekipptes Fenster lässt weniger heiße Luft rein, aber auch weniger Schadstoffe raus. | Bildquelle: WDR/Tiegel

Um Schadstoffe besser aus der Luft zu bekommen, empfiehlt Aerosolforscher Asbach, die Fenster ganz aufzumachen: "Grundsätzlich gilt, dass für eine Verringerung der aus dem Innenraum stammenden Schadstoffkonzentration im Raum die Innenraumluft möglichst vollständig ausgetauscht werden muss. Hierzu ist Stoßlüften wesentlich effizienter, als wenn das Fenster nur einen Spalt weit offensteht."

Was bringen Ventilatoren?

Generell seien Ventilatoren bei Hitze empfehlenswert, sagt Medizinerin Herrmann. Denn sie helfen dabei, dass Schweiß besser verdunstet. So kann der Körper leichter schwitzen, wodurch er seine Temperatur reguliert.

Ventilatoren helfen bis zu einer Zimmertemperatur von 36 Grad. | Bildquelle: WDR/picture alliance/Photononstop/Sandy Aknine/Ph

Aus der Forschung wisse man aber, dass Ventilatoren nur bei bis zu 36 Grad nützlich seien, so Herrmann. Ansonsten seien sie für den Körper eher belastend.

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