Ende November, in einem Gebäude, dessen Adresse geheim bleiben muss, liegt das Frauenhaus in Solingen – ein sicherer Hafen für Frauen und Kinder, die vor Gewalt fliehen mussten. Im Eingang stehen die Kinderwagen. Freundliche Bilder an den Wänden - die Räume lichtdurchflutet. Obwohl verborgen, wirkt das Haus keineswegs bedrückend. Es strahlt Geborgenheit und Ruhe aus – ein Kontrast zu den traumatischen Erfahrungen der Bewohnerinnen.
Ihre Geschichten könnten unterschiedlicher kaum sein. Manche Frauen sind im Rentenalter und haben ein Leben lang Gewalt durch ihren Partner erduldet. Andere sind gerade volljährig und bereits Opfer schwerer Misshandlungen geworden. Einige haben die ersten Anzeichen erkannt und rechtzeitig die Flucht ergriffen. Manche bringen ihre Kinder mit, andere kommen allein. Was sie alle eint, ist die Erfahrung von Gewalt – und die ständige Angst, die sie begleitet.
Denn jeden Tag werden in Deutschland Frauen Opfer von Gewalt: 2023 wurde nahezu täglich eine Frau oder ein Mädchen getötet, häufig von ihrem (Ex-)Partner. Fast 1.000 versuchte Femizide, über 180.000 Fälle häuslicher Gewalt – ein Anstieg um 6,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Diese Zahlen sind erschreckend und zeigen eindrücklich, wie wichtig Orte wie das Frauenhaus Solingen sind.
Gewalthilfegesetz: Plätze im Frauenhaus reichen seit Jahren nicht aus
Trotzdem fehlen mehr als 14.000 Plätze bundesweit für betroffene Frauen. Nicht selten werden Frauen abgelehnt, die Schutz bräuchten. In NRW müssen Frauen mit geregeltem Einkommen in der Regel sogar für ihren Aufenthalt selbst aufkommen. Die Kosten liegen dabei zwischen 25 bis 100 Euro pro Tag und Person. "Das kann besonders für Mütter mit Kindern eine immense finanzielle Belastung darstellen", erklärt die Leiterin des Frauenhauses in Solingen, Martina Zsack-Möllmann, und schüttelt den Kopf. "Spenden machen bei uns in solchen Fällen vieles möglich."
Martina Zsack-Möllmann arbeitet seit über 30 Jahren im Frauenhaus. "Man müsste noch viel mehr machen, damit sich die Situation der Frauen verbessert", sagt die Sozialarbeiterin. Das Versprechen eines Gewalthilfegesetzes, das den Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung für Betroffene festschreiben sollte, steht aufgrund des Scheiterns der Ampel-Regierung nun auf der Kippe. "Darauf haben wir natürlich sehr gehofft. Es ist schon frustrierend", so die Solingerin. Einiges habe sich politisch zwar getan, aber die Gewalt gegen Frauen steigt trotzdem.
Die Frauen und Kinder kommen aus unterschiedlichsten Lebenswelten. "Wir haben Bewohnerinnen aus allen Gesellschaftsschichten und Nationalitäten, genauso auch aus Deutschland“, berichtet Zsack-Möllmann. Besonders aber Frauen aus nicht-deutschen Herkunftsländern sind häufig auf die Hilfe angewiesen, da sie oft keine sozialen Netzwerke haben und mit Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt konfrontiert sind.
Die Stärke und Solidarität der Frauen
Sozialarbeiterinnen und Erzieherinnen stehen den Bewohnerinnen zur Seite: Gespräche, Arztbesuche, Wohnungssuche - der Weg in ein gewaltfreies Leben. Das kann zwischen ein paar Wochen bis zu einem Jahr dauern. In der Nacht betreuen die Bewohnerinnen das Bereitschaftshandy.
"Auch wenn wir voll sind, rutschen die Frauen zusammen, wenn in der Nacht jemand anruft. Das Leid der anderen kennen sie nur zu gut. Dann schläft eben jemand auf der Couch – abweisen können sie einander nicht", erzählt Zsack-Möllmann. Denn auch jetzt ist im Frauenhaus in Solingen kein Platz mehr frei. Das Frauenhaus bietet Platz für 14 Frauen und 28 Kinder. Es ist eines der wenigen Häuser bundesweit, was barrierefrei ist und Platz für Kinder hat.
Schul- und Kindergartenplätze werden organisiert, um den Kindern Stabilität zu bieten.
Eine besonders bewegende Geschichte erzählt von einer Frau aus Somalia. Sie floh vor dem IS und überlebte unfassbare Grausamkeiten, darunter Genitalverstümmelung. In Deutschland gründete sie eine Familie, doch ihr Mann wollte auch die beiden Töchter beschneiden lassen. Analphabetisch, aber entschlossen, flüchtete sie ins Frauenhaus. "Trotz allem zeigt sie immer ein Lächeln", sagt Zsack-Möllmann. "Ihr eines Kind ist durch eine Hirnhautentzündung behindert, doch sie vergisst keinen Arzttermin und kümmert sich liebevoll um beide Kinder." Ihre Stärke beeindruckt alle im Haus.
Eine andere Erfolgsgeschichte erzählt von drei Frauen, die sich im Frauenhaus kennenlernten und heute zusammen in einer anderen Stadt leben. Sie teilen sich die Kinderbetreuung und unterstützen sich im Alltag – ein Beispiel für Solidarität, die auch nach der schweren Zeit Bestand hat.
Positivbeispiele aus Spanien und Frankreich
Trotz der dramatischen Lage gibt es immer wieder Lichtblicke. Das Frauenhaus Solingen bietet nicht nur Schutz, sondern auch Hoffnung und die Möglichkeit, ein neues Leben aufzubauen. Und auch in der Gesellschaft tue sich schon etwas:
Sie verweist auf Beispiele aus Frankreich und Spanien, wo Männer und Frauen gemeinsam gegen Gewalt demonstrieren. "Die Männer müssen sich auch für die Frauen einsetzen", sagt Zsack-Möllmann. Nur durch gesellschaftlichen Wandel, politische Unterstützung und Solidarität kann die Gewalt gegen Frauen nachhaltig bekämpft werden.
Spanien zeigt, dass Fortschritte möglich sind: Dort können Gerichte seit 2009 das Tragen von Fußfesseln bei massiven Bedrohungen anordnen, was die Zahl tödlicher Angriffe auf Frauen drastisch reduziert hat. Zusätzlich müssen gewalttätige Väter Anti-Aggressionstrainings absolvieren, um ein Umgangsrecht mit ihren Kindern zu erhalten.
Wenn Hilfe gebraucht wird
Für Frauen, die Hilfe brauchen, ist das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" unter 116 016 rund um die Uhr erreichbar. In Häusern wie dem Frauenhaus Solingen entsteht der erste Schritt in Richtung eines Lebens in Sicherheit – und das nicht nur für Frauen, sondern auch für ihre Kinder.
Quellen:
- Reporterin vor Ort
- Statistik der Frauenhauskoordinierung
Über dieses Thema wird auch im WDR-Fernsehen berichtet.